WK II – H. Neben Mun. Anstalt Dresden

Ein eher unbekannter, fast vergessener und verschwundener Ort ist die Dresdner Heeres-Neben-Munitionsanstalt. Die noch vorhandenen spärlichen Reste liegen gut versteckt am Rande der Dresdner Heide.

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Ab 1873 wurde die Dresdner Albertstadt als militärische Planstadt gegründet und entwickelte sich in der Folgezeit beiderseits entlang der drei Kilometer langen Heerstraße (heute Stauffenbergallee) zu einem riesigen Kasernen- und militärischem Verwaltungskomplex. Zu den ersten Gebäuden gehörten neben der Artilleriekaserne auch das Arsenal nebst Artilleriewerkstätten und die Munitionsanstalt, die 1876 noch unter der Bezeichnung Pulver-Laboratorium fertig gestellt wurden. Östlich der Königsbrücker Straße und nördlich vom Arsenal wurde die Munitionsanstalt etwas später als Königlich Sächsische Munitionsfabrik und Munitionsanstalt betrieben.

Plan Albertstadt 1880

Übersichtsskizze der Albertstadt. Sämmtliche Militärbauten in Dresden. Blatt 2. Buchdruck, 10,7 x 16,5 cm (Blattgröße). Aus: Albertstadt. Sämmtliche Militärbauten in Dresden. Dresden, Verlag Adolf Gutbier, 1880. Bildnachweis: SLUB / Deutsche Fotothek / Ahlers, Henrik – Dieses Werk ist gemeinfrei (Public Domain Mark). https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/72051745

Ab 1883 war die Kasernenstadt ein von der Stadt Dresden unabhängiger Gutsbezirk. Im Ersten Weltkrieg stieg die Belegung der Garnison Albertstadt auf über 45.000 Mann. In der Munitionsanstalt wurde hauptsächlich Artilleriemunition hergestellt. Im ersten Weltkrieg wurde in Dresden knapp 20% des Munitionsbedarfes des Heeres produziert. In den Jahren 1914 und 1915 entstand ein repräsentativer Verwaltungsbau für die Munitionsanstalt. 1915 arbeiteten etwa 3.500 Männer und Frauen rund um die Uhr in der Munitionsfabrik.

Am 28. Dezember 1916 explodierten große Teile der Munitionsfabrik. Der Schaden war gewaltig; er wurde auf 25 Millionen Reichsmark beziffert. Mehr als 20 Gebäude wurden völlig zerstört. Der durch die Explosion ausgelöste Brand griff auf einen im Verladebereich stehenden voll beladenen Munitionszug über, der ebenfalls explodierte und zudem etwa einen Kilometer Bahngleise zerstörte. Durch Explosion und Brand wurden 4,4 Millionen Gewehrpatronen, 577.000 Patronen für Pistolen, 2,5 Millionen Platzpatronen, 550.000 Zünder, 100 Tonnen Schießpulver, 95.000 Geschosse für Feldhaubitzen und 58.000 Geschosse für Leichthaubitzen zerstört. Ausgelöst wurde die Explosion durch fehlerhafte Munition, die von der Front zurückgeschickt worden war und im Depot Nr. 23 von Mitarbeitern der Munitionsanstalt untersucht wurde. Wie viele Menschenleben die Explosion gekostet hatte, ist nicht überliefert.

Der Brand konnte nach zwei Tagen gelöscht werden; wieder aufgebaut wurden die explodierten Gebäude nicht mehr. Durch neue Sicherheitsbestimmungen wurden die erforderlichen Mindestabstände zwischen Arbeitshäusern und Lagerhäusern deutlich erhöht.

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurden sowohl die Kasernen als auch die Munitionsfabrik völlig ausgeräumt – entsprechend den Forderungen des Versailler Vertrages. Der Abriss der Gebäude konnte verhindert werden, weil die Gebäude der Munitionsfabrik für zivile Fertigungen vermietet wurden. Somit endete die Munitionsherstellung in Dresden 1918.

In den 1920er Jahren wurden die meisten (nun zivil genutzten) Gebäude modernisiert und erweitert. Es entstand ein florierender Industriestandort. Ab Mitte der 1930er Jahre wurde die Produktion der zivilen Fabriken auf Rüstungsgüter umgestellt; ob hier in Dresden wieder Munition produziert wurde, ist nicht ganz klar. Dagegen spricht der Status der Dresdner Munitionsanstalt als Heeres-Neben-Munitionsanstalt. In Neben-Munitionsanstalten wurde Munition nur gelagert – eine Laborierung von Munition fand dort im allgemeinen nicht statt.

Die genaue strukturelle Bezeichnung der Dresdner Heeres-Neben-Munitionsanstalt ließ sich nicht mehr ermitteln, sie gehörte jedoch zum „Wehrkreis IV“, Dresden.

Die erforderlichen Munitionslagerbunker befanden sich im nahe gelegenen Wald der Dresdner Heide. Im Zuge der Aufrüstung wurden in den 1930er Jahren weitere gebaut sowie die bereits vorhandenen modernisiert.

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Verschiedene Nutzungsperioden lassen sich beispielsweise noch an den erkennbaren Überresten der Belüftungsschächte der Munitionslagerbunker erkennen. Einige sind gemauert, andere aus Beton gegossen.

Den zweiten Weltkrieg und die Bombenangriffe auf Dresden überstand das Gelände der Munitionsanstalt nahezu unversehrt.

Der Krieg endete in Dresden mit dem Einmarsch der sowjetischen 1. Gardepanzerarmee und der 5. Gardearmee, die auch gleich dort blieben – bis 1994. Die Munitionsanstalt (die im Wesentlichen nur aus einem Lagerbereich bestand) wurde enteignet und unter sowjetische Verwaltung gestellt.

Nach der Gründung der NVA befanden sich die russischen Besatzungstruppen und die NVA-Truppen in recht räumlicher Nähe auf dem Gelände der Albertstadt – sehr wahrscheinlich wurden auch Teile des Munitionslagers der ehemaligen Munitionsanstalt durch die NVA als Artillerie-Munitionslager genutzt. Das Areal war durch eine Doppelzaunanlage gesichert, von der nur noch wenige Überreste im Wald herum stehen.

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Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 endete die Nutzung von Teilen des Munitionslagers durch die NVA. Nach dem Abzug der russischen Truppen im Jahre 1994 endete die militärische Nutzung des gesamten Geländes. Es wurde fast alles zurück gebaut und ist heute ein Gewerbestandort.

Ein paar Gebäude wurden erhalten und als Industriedenkmäler ausgewiesen.

Von den ursprünglich mindestens 28 Lagerbunkern der Heeres-Nebenmunitionsanstalt Dresden blieben nur einige wenige versteckt im Wald übrig.

Quellen:

[Hrsg.] Dresdner Geschichtsverein e.V.  „Dresden als Garnisionstadt“ in: „Dresdner Hefte. Beiträge zur Kulturgeschichte“, 16. Jahrgang, Heft Nr. 53, 1998 (Ausgabe 1) – veränderte Nachauflage 2012

Hübner, Ralf „Eine Munitionsfabrik explodiert in Dresden“, in: Sächsische Zeitung (0nline), 02.01.2022

SLUB / Deutsche Fotothek – Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Dresden – Malzfabrik Gebrüder Pick

Traurig stehen sie an einer viel befahrenen Hauptstraße: die Gebäudereste der Malzfabrik Gebrüder Pick, erbaut etwa 1875. Es ist die letzte authentisch erhaltene Malzfabrik von Dresden, die einst zu den größten in Deutschland gehörte. Die wuchtigen Zu- und Ablufttürme – vom Volksmund Max und Moritz genannt – beherrschen noch immer die Niedersedlitzer Skyline.

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Errichtet wurde sie (natürlich) an einer Bahnstrecke und besaß ein Industrieanschlussgleis. Durch mehrere Erweiterungen entstand auf etwa 10.000 Quadratmetern Grundstücksfläche ein großer Gebäudekomplex, der unter anderem enthielt: Kesselhaus und Maschinenhalle, Malztennen und Aufbereitungsräume, Malzsilos, Kohlensilo diverse Lagerräume usw.

Dresden - Malzfabrik Pick 12 Produziert wurde hier in großem industriellen Maßstab Braumalz zur Versorgung der unzähligen Dresdener Brauereien. Die Gerste kam in den Anfangsjahren zunächst per Schiff über die Elbe und wurde mit Fuhrwerken von der Entladestelle zur Malzfabrik transportiert. Das änderte sich erst, als der Gleisanschluss fertig gestellt wurde.

1915 wurde der letzte große Gebäudekomplex auf dem Gelände fertig. Mit dem Aufkommen erster Lastkraftwagen wurden Garagen erforderlich, die 1924 errichtet wurden.

Das Geschäft entwickelte sich prächtig. Für das Geschäftsjahr 1926/1927 wurde ein Reingewinn von 357.525,78 Reichsmark erzielt; im darauf folgenden Geschäftsjahr sogar mehr als 403.000 Reichsmark³.

1938 wurden die jüdischen Inhaber Carl und Hans Pick – als Erben der Unternehmensgründer Adolf und Moritz Pick – enteignet und aus der Malzfabrik Niedersedlitz K.G. Gebrüder Pick wurde die Malzfabrik Niedersedlitz AG. Gründungsdatum für die Malzfabrik Niedersedlitz AG ist der 02.08.1938. Ausgegeben wurden 3.500 Aktien zum Nennwert von je 1.000 Reichsmark. Geschäftszweck: Herstellung und Vertrieb von Malz und ähnlichen Erzeugnissen mit Fortführung des Unternehmens der Malzfabrik Niedersedlitz Kommanditgesellschaft, vormals Brüder Pick.

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Die mit der Durchführung der Gründung der Aktiengesellschaft beauftragte Hamburger Vereinsbank hatte 1938 versucht, Unternehmensanteile (in Form von Aktien) an die Unternehmensgruppe Dr. Oetker zu verkaufen, die jedoch nicht interessiert war.

Kommerzienrat Franz Pick (ebenfalls einer der Mitbegründer des Unternehmens) musste „die Arisierung“ seines Unternehmens nicht mehr miterleben; er starb 1932. Seine Witwe, Elisabeth Pick, nahm sich am 27. Januar 1942 das Leben, nachdem sie – damals schon 71 Jahre alt – den Deportationsbefehl nach Theresienstadt erhalten hatte.

1939 übernimmt die Malzfabrik Niedersedlitz AG die vollständige Aktienmehrheit an der ebenfalls in Dresden ansässigen Königs Malzfabrik AG. Neben Malz wurden hier Malzkaffee, Kaffeemischungen und Backhilfsmittel produziert. Interessanterweise saßen in diesem Unternehmens die Brüder Pick von 1920 bis 1937 im Aufsichtsrat, bis sie schließlich herausgedrängt wurden. Ob sie geahnt haben, dass sie bald ihr eigenes Unternehmen verlieren würden?

In den Jahren 1934 und 1940 wurden auf dem Gelände der Malzfabrik Luftschutzräume für die hier arbeitenden errichtet – vermutlich waren es nur ausgebaute Kellerräume. Zu sehen ist davon heute nichts mehr.

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Im Geschäftsjahr 1940/1941 (das Geschäftsjahr endete am 30.06.1941) erzielte die Malzfabrik Niedersedlitz AG einen Gewinn in Höhe von 173.848, 89 Reichsmark und zahlte an seine Aktionäre eine Dividende in Höhe von 6%. Für die Mitarbeiter gab es neben Weihnachtsgeld eine Sonderzahlung zum Jahresende und aufgrund des guten Betriebsergebnisses eine zusätzliche Zahlung. „Von Feiern, Ausflügen usw. wurde auch in diesem Jahre in Anbetracht des Krieges Abstand genommen. Wir haben einem großen Teil der Gefolgschaft mit ihren Frauen KdF-Urlaubsreisen gewährt und außerdem im Rahmen der Feierabendgestaltung verschiedentlich unseren Gefolgschaftsmitgliedern mit Familienangehörigen den Theaterbesuch ermöglicht.“ ¹

Der andauernde Krieg wirkt sich langsam auch auf die Arbeit der Malzfabrik aus. „Das abgelaufene Berichtsjahr [1941/1942] war für die Malzindustrie ein wenig erfreuliches. Infolge geringerer Rohstoffzuteilung wurden wir in der Produktion beeinträchtigt. Dazu kam, daß durch die ungünstige Witterung die Gersten mit einem derartigen Wassergehalt angeliefert wurden, daß sie für Trocknung und Bearbeitung erhebliche Aufwendungen erforderten. […] Auch im Berichtsjahr konnten wir Malz nur nach verschiedenen besetzten Gebieten exportieren.“ ² Für das Geschäftsjahr 1941/1942 wurde ein Gewinn in Höhe von 167.737,98 Reichsmark ausgewiesen, es erfolgte wieder eine Dividendenzahlung in Höhe von 6%

Inwieweit die Gebäude den zweiten Weltkrieg und die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 überstanden bzw. mit welchen Schäden, ist nicht bekannt.

Nach 1945 wurde das Unternehmen zum VEB Malzwerke Dresden verstaatlicht und als eine von acht Mälzereien im VEB Dresdner Mälzereien weiter geführt. Die Bezeichnungen änderten sich mehrere Male. Zuletzt war die offizielle Bezeichnung: VEB Dresdner Mälzereien, Produktionsstätte Dresden, Henningsdorfer Straße. Aus der DDR-Zeit hat sich noch ein typischer Slogan an einer Fassade erhalten.

DDR Slogan

Umfangreiche Modernisierungen erfolgten 1956 – es blieben die letzten bis zum Ende der DDR. Als Bestandteil des VEB Getränkekombinat Dresden war die Malzfabrik auch in der DDR der wichtigste Zulieferer für die Dresdener Brauereien. Im Wesentlichen war der Gebäudestand bis zum Schluss der selbe, wie aus der Gründungszeit. Wie üblich, war in der DDR kaum Geld da für notwendige Instandhaltungen, so dass der Zustand der Gebäude und Einrichtungen sehr zu wünschen übrig ließ.

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1990 wurde die Malzfabrik durch die damalige Treuhandanstalt liquidiert und verfällt seit dem. 2015 träumte man noch von einer Rettung der Gebäude; geplant war die Umgestaltung zu Wohnungen. Irgendwie wurde nichts daraus. Vandalismus und mehrere Brände (zuletzt im November 2020) haben den Gebäuden inzwischen stark zugesetzt. Ein großer Teil ist nun einsturzgefährdet, ein teilweiser Zwangsabriss droht. Ein Schelm, wer böses dabei denkt… Unnötig zu erwähnen, das die Gebäude unter Denkmalschutz stehen.

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So schlimm, wie der Brand gewütet hat – er hat einige Details der ursprünglichen Stahlträgerkonstruktion freigelegt.

Detail Stahlträger

Der restliche Zustand der noch erhaltenen Gebäude ist – gelinde gesagt – beklagenswert.

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Quellen:

¹ „Geschäftsbericht der Malzfabrik Niedersedlitz Aktiengesellschaft in Niedersedlitz. Geschäftsjahr 1940/1941“, Bericht des Vorstandes, Oktober 1941

² „Malzfabrik Niedersedlitz Aktiengesellschaft. Geschäftsbericht 1941/1942“, Bericht des Vorstandes, 23. November 1942

³ Veröffentlichungen in „Deutscher Reichsanzeiger (Berlin)“, Nr. 6 vom 06.Januar 1928 und Nr. 5 vom 05. Januar 1929.

[Hrsg.] Arbeitskreis Gedenkbuch der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V. „Buch der Erinnerung. Juden in Dresden: Deportiert, ermordet, verschollen. 1933-1945“; Dresden, 2006

Finger, Jürgen / Keller, Sven / Wirsching, Andreas „Dr. Oetker und der Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945“, München, 2013

Hessel, Uwe „Zur Industriegeschichte der Stadt Dresden 1945 bis 1990. VE Getränkekombinat Dresden“; Eine Gemeinschaftsarbeit der Arbeitsgruppe Industriegeschichte mit dem Stadtarchiv Dresden, Arbeitsstand April 2007

„Kulturdenkmale im Freistaat Sachsen – Denkmaldokument 09212606 – Malzfabrik Gebrüder Pick, Malzfabrik Niedersedlitz“, Stand: 29.11.2022

Meinig, Rene „Teilabriss nach Brand in früherer Dresdner Malzfabrik“, Sächsische Zeitung (online), 05.11.2001

Netzwerk Industrie.Kultur.Ost „Malzfabrik Dresden“

Schmieder, Franziska „Zwei Flurstücke unterm Hammer. Teile der ruinösen Malzfabrik in Dresden-Niedersedlitz werden zwangsversteigert“, in: Dresdner Neueste Nachrichten (online), 18.10.2017

„Akute Einsturzgefahr. Stadt lässt Teil der alten Malzfabrik in Dresden-Niedersedlitz abreißen“, in: Dresdner Neueste Nachrichten (online), 05.11.2022

alle Bilder von Alexander Köhler, mit freundlicher Genehmigung

Dresden – Leipziger Bahnhof

An diesem Ort begann Dresdens Einstieg in das Eisenbahn-Zeitalter. Baubeginn war 1837 und schon ein Jahr später fuhr der erste regelmäßige Personenzug nach Radebeul-Weintraube. Schon 1839 – zwei Jahre nach Baubeginn (!) –  wurde dann die erste Eisenbahn-Fernverbindung zwischen Leipzig und Dresden in Betrieb genommen, die hier am namensgebenden Bahnhof ihren Endpunkt hatte.

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Etwa um das Jahr 1846 wurde am Leipziger Bahnhof in Dresden ein Kapitel Eisenbahngeschichte geschrieben: der Ablaufberg wurde hier – eher zufällig – erfunden. Begünstigt durch die leichte Hanglage fand man heraus, das es genügte, die zu rangierenden Wagen auf die leichte Anhöhe zu ziehen, dort abzukoppeln und die Wagen von alleine bergab rollen zu lassen. Durch geschicktes Weichenstellen konnten so die Züge schneller und mit viel weniger Rangieraufwand zusammengestellt werden. Eine Entdeckung, die sich schnell überall durch künstlich errichtete Ablaufberge durch setzte.

Welche Bedeutung der Bahnhof hatte, zeigt die Entwicklung der Zugleistung. Waren es zur Eröffnung 1837 nur drei tägliche Zugpaare, die hier fuhren, waren es 1876 schon 44 Personenzüge und mehr als 20 Güterzüge pro Tag. Der Bahnhof wuchs stetig und wurde permanent umgebaut, blieb aber immer zu klein.

In unmittelbarer Nähe zum Leipziger Bahnhof befand sich der Schlesische Bahnhof (Eröffnung 1847), an dem die Züge in Richtung Görlitz und weiter nach Schlesien starteten. Beide Bahnhöfe waren jedoch durch ihre Lage bahntechnisch schlecht miteinander zu verknüpfen. Diese gelang provisorisch durch eine Gleiskurve. Diese Lösung war aber verkehrstechnisch unbefriedigend.

So entschloss man sich zum Neubau eines Bahnhofes zwischen den beiden Bahnhöfen und zur Neuanlage von Gleisen. So entstand zwischen 1892 und 1901 der Bahnhof Dresden-Neustadt. Nach dessen Inbetriebnahme wurde nun sämtlicher Personenverkehr vom Schlesischen Bahnhof und vom Leipziger Bahnhof über Dresden Neustadt abgewickelt. Der Leipziger Bahnhof wurde zu einem reinen Güterbahnhof umgebaut. Nach 1990 wären weitere Investitionen erforderlich gewesen, zum Beispiel am Containerterminal. Durch die Verlagerung der Verkehrsströme von der Schiene auf die Straße wurden diese Investitionen jedoch nicht getätigt, was noch mehr zum Bedeutungsverlust des Güterbahnhofes beitrug. Gänzlich Schluss war nach dem Neubau eines Güter- und Rangierterminals im Jahre 2005. Seit dem liegt die Fläche des ehemaligen Leipziger Bahnhofes brach und die Stadt Dresden ringt um ein sinnvolles Nachnutzungskonzept.

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Die geplante Ansiedlung eines riesigen Supermarktes hat sich zerschlagen (zum Glück möchte man meinen), die neuen Pläne sehen eine Umgestaltung des Geländes unter Erhalt der historischen denkmalgeschützten Bausubstanz vor.

Quellen:

Herrmann, Sarah „Neue Visionen zum Alten Leipziger Bahnhof“, Sächsische Zeitung, 05.01.2020

Sacher, Christian „175 Jahre erste deutsche Ferneisenbahn Leipzig – Dresden“ in: „Sachsenbummel. Magazin für KulturGeschichte und Tourismus“, Nr. 84/2014, S. 38 ff.

NVA – FRA 314 Großröhrsdorf

Im Masseneiwald bei Großröhrsdorf versteckt sich mitten im Wald die Flugabwehr-Raketen-Abteilung 314. Baubeginn für diese 360 Hektar umfassende Stellung für Flugabwehrraketen war 1960. Seit etwa 1963 befand sich diese Raketenstellung im Diensthabenden System der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der DDR. Als Raketentechnik wurde in den 1960er Jahren das System „Dwina“ genutzt. Nach umfangreichen technischen Modernisierungen in den 1970er Jahren wurde 1976 das neue Raketensystem „Wolchow“ eingeführt.

Wie sich aus der taktischen Bezeichnung ergibt, war es eine Flugabwehr-Raketen-Abteilung, die zum Flugabwehr-Raketen-Regiment 31 (FRR-31) gehörte. In den 1960er Jahren lautete die taktische Bezeichnung noch FRA 144. Ab 01.12.1971 (nach Umorganisationen innerhalb der NVA) lautete die Bezeichnung FRA 114. Nach einer Neustrukturierung Anfang der 1980er Jahre (bei dem aus „dem alten“ FRR-11 „das neue“ FRR-31 aufgestellt wurde) erfolgte natürlich eine neue Vergabe der taktischen Bezeichnung. Gedacht waren die FRAs 31x (311 in Groß Döbbern, 312 in Großräschen, 313 in Kroppen und 314 in Großröhrsdorf) nunmehr als 2. Staffel zur Luftraumüberwachung und Abwehr von eindringenden Flugzeugen aus Richtung West – Raum Thüringische Tiefebene – in der zweiten Staffel für den Raum Lausitz / Dresden. Durch Personalmangel und Geldknappheit gingen die Raketenstellungen des FRR-31 im Jahr 1984 aus dem Diensthabenden System der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der DDR und waren nicht mehr ständig besetzt. Die einzelnen FRA sollten nunmehr nur noch im Mobilmachungsfall voll besetzt werden. Für den regulären Betrieb einer FRA waren etwa 150 gut ausgebildete Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere erforderlich.

Die Technische Zone rund um den Raketenlagerbunker (sogenanntes C-Objekt) ist vergleichsweise gut erhalten und in der Grundstruktur noch sehr gut erkennbar. Die Zufahrt vom Wohnbereich (A-Objekt) in Richtung Raketenlagerbunker strotz noch so vor Details. Im Hintergrund ist der Schornstein des Heizhauses zu erkennen.FRA 314 Großröhrsdorf 05

Der Raketenlagerbunker ist noch erhalten, auch wenn er – wie üblich – völlig leer ist.FRA 314 Großröhrsdorf 06

Überraschenderweise ist auch der Bereich der ehemaligen Tankstelle noch gut zu erkennen.FRA 314 Großröhrsdorf 03

In den quadratischen Löcher auf der vorderen Betonplatte waren die Stützpfosten für eine kleine Dachkonstruktion aus Blech. Die Dachkonstruktion selbst ist natürlich längst verschwunden.

Im Wald, in unmittelbarer Nähe zur Tankstelle, befindet sich noch ein FB-3 – Lagerbunker für brennbare Flüssigkeiten und Gefahrstoffe – zu erkennen an der markanten Form des Einganges (Druckwellenschutz im Falle von Explosionen). Die Lüftungshutze des Bunkers ist noch nicht der typische „Dinohals“, sondern ein älteres Modell russischer Bauart – typisch für die Bauzeit in den 1960er Jahren.FRA 314 Großröhrsdorf 01

Leider sind die Unterkunftsbunker vom Typ FB-3 für die Besatzung des Technischen Zuges nicht mehr erhalten bzw. zugeschüttet.

Reste der ehemaligen Fahrzeugunterstände finden sich ebenso, wie kleine Unterstände, die als Lagerbereiche genutzt wurden.

Am 03.10.1990 übernahm die Bundeswehr den Standort, der bis zum 31.12.1990 vollständig aufgelöst wurde.

Das Gelände wurde zunächst sich selbst überlassen. Durch ABM-Kräfte erfolgte ein kompletter Abriss der Raketenstellung. Dieser dauerte bis 1994 und damit länger, als der Aufbau!

Eine zivile Nachnutzung gelang noch temporär für das A-Objekt. Bis 2012 wurde es als Unterkunft für Asylbewerber genutzt.

Ironischerweise ist der 1969 für die Schießausbildung der FRA gebaute Schießplatz noch immer in Nutzung – durch den örtlichen Schützenverein.

NVA – FRA 316 Lampertswalde

Geplant war der Standort Lampertswalde nie als eine eigene Flug-Abwehr-Raketen-Abteilung, sondern als neue Feuerstellung für die FRA 313 Kroppen (beim Dorf Ortrand nicht weit von Lampertswalde).

FRA 316 Lampertswalde 04

In der FRA 313 Kroppen war die Bekämpfung von Tieffliegern nicht möglich (aufgrund des eingeschränkten Auffassungs-und Zielwinkelbereiches des Radars). So begannen 1988 die Bauarbeiten im Raschütz-Wald von Lampertswalde an der neuen Feuerstellung. Wie üblich erfolgten die Ausführung der Arbeiten in sogenannter Truppeneigenleistung. Als Fertigstellungstermin war der 31.08.1989 geplant.

Gleichzeitig sollte die FRA 313 Kroppen auf neueste Technik umgestellt werden („S-300“) und als FRA 316 Lampertswalde wieder in das Diensthabende System integriert werden.

Dazu kam es jedoch nicht mehr. Nach der politischen Wende in der DDR hatte man ganz andere Sorgen… Im Dezember 1989 kam es zu mehreren Demonstrationen vor dem militärischem Sperrgebiet. Die Demonstranten forderten die Umwidmung des Objektes für die zivile Nutzung. Eine örtliche Handwerkerfirma erklärte, sich an den Bauarbeiten nicht mehr zu beteiligen¹. So führten neben finanzielle Problemen, Lieferengpässen bei den Baumaterialien und bei der russischen Technik (z.B. für die Bunkertechnik) auch die politischen Ereignisse dazu, dass im März 1990 die Bauarbeiten eingestellt wurden.

Bis auf einige Fahrzeugunterstände und ein paar Kleinbunker vom Typ FB-3 befanden sich alle anderen Gebäude zu dieser Zeit nur im Rohbauzustand (Garagenbunker, DHS-Gebäude, Feuerstellungen)

FRA 316 Lampertswalde 01

Das Gelände wurde kurz darauf, am 08.März 1990, in zivile Rechtsträgerschaft übergeben und aus dem Bestand der NVA ausgegliedert. Bis zu diesem Zeitpunkt waren knapp vier Millionen Mark der DDR im Raschütz-Wald verbaut worden¹.

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Ironischerweise bestand denn plötzlich keinerlei Interesse mehr an einer zivilen Nachnutzung…es mangelte an Geld und an tragfähigen Konzepten. Das man das nicht vorher bedachte, ist nicht überraschend. Die Gemeinde verkaufte das Gelände, ohne das hier weiter etwas passierte. Eine Zeitlang wurde das Gelände noch als „Spielwiese“ durch einen Airsoft-Waffen-Verein genutzt. Sehr einfallsreich. Die Rohbauten auf dem Gelände stehen immer noch und der Beton im Wald erzählt seine eigene Geschichte.

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Quellen:

¹ [Hrsg.] Sächsische Staatskanzlei: „1989. Chronologie der Wende in Sachsen“; Bearbeiter: Aline Fiedler und Frank Tiesler; 2., überarbeitete und ergänzte Auflage; Dresden, 2000

Pirna – Kreiskrankenhaus

Das Krankenhaus liegt hier nicht am Rande der Stadt, sondern mitten drin. So richtig schön zentral. Und steht leer. Seit 2007.

Kreiskrankenhaus Pirna 01

Am 17. September 1859 wurde Pirnas erste Bürgerkrankhaus eingeweiht. Damals hieß die Straße noch Sandgasse. Der Platz reichte bald nicht mehr aus, so dass nach und nach weitere Gebäude errichtet wurden. Im Jahre 1918 wurde ein Gebäude für die Chirurgische Abteilung mit Platz für 80 Betten errichtet. Der heute denkmalgeschützte Ziegelbau wurde nach dem Arzt Rudolf Renner als „Dr. Rudolf -Renner-Haus“ benannt.

Im Laufe der 150 Jahre seiner Nutzung ist das Gebäude mehrfach erweitert und umgebaut worden. Insgesamt erstreckt sich das Krankenhausgelände über 1,8 Hektar. Der letzte Umbau fand von 1986 bis 1991 statt. Insgesamt entwickelten sich hier vier große Haupt-Gebäude, die alle miteinander verbunden wurden, sowie diverse Nebengebäude. Die übrig gebliebenen Wegweiser zeugen vom Umfang der angebotenen medizinischen Leistungen, zeigen heute aber ins Nirgendwo der verlorenen und leeren Flure.

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Nach der politischen Wende 1989 fingen die Kostendiskussionen an. Das Krankenhaus sollte in private Trägerschaft überführt werden. 1995 wurde erheblicher Sanierungsbedarf festgestellt. Da es Fördermittel von Bund und Ländern nur für einen Neubau gab, war schnell klar, das der bisherige Krankenhausstandort zugunsten eines Neubaus aufgegeben wird. Im Jahre 2002 wird das noch in Betrieb befindliche Kreiskrankenhaus für 8,5 Millionen Euro an die Rhön Klinikum AG verkauft, die auch für den Neubau in Pirna-Sonnenstein die Kosten tragen wird. Der erste Spatenstich für das neue Klinikgelände erfolgt dann 2004.

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Nach dem im Jahr 2006 auf dem Pirnaer Sonnenstein das neues Krankenhaus fertig gebaut worden war, erfolgte der Umzug des Krankenhauses. Die Gebäude stehen seit den Tagen des Umzuges im März 2007 leer und warten auf ein sinnvolles Nachnutzungskonzept. Im Jahre 2008 wurde das gesamte Areal des ehemaligen Kreiskrankenhauses an einen Investor weiter veräußert, in der Hoffnung, das hier ein europäisches Geriatrie- Kompetenzzentrum entsteht. Versprochen wurde viel. Passiert ist nichts. Vermutlich ging es hier – wie so oft – nur darum, Grundstücke in bester Lager „abzustauben“….

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Erschreckend ist der Grad der Zerstörung und Vermüllung im Inneren der Gebäude.Kreiskrankenhaus Pirna 06

Bei der Vielzahl an Gebäuden, Fluren und Zimmern gelingt dann doch noch der eine oder andere faszinierende Blick… unscheinbar und mit Klebestreifen an der Tür befestigt ein Zettel mit der Zimmernummer – hält noch heute…Kreiskrankenhaus Pirna 27

Dahinter eine kleine Überraschung und für mich das Bild des Tages…Kreiskrankenhaus Pirna 28

Lange Flure, soweit das Auge reicht… Ängstlich sollte man hier nicht sein. Kreiskrankenhaus Pirna 02

Lange Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Hauptgebäuden…Kreiskrankenhaus Pirna 12

… bilden einen Kontrast zu den vermüllten Eingangsbereichen.

Überbleibsel diverser kleiner Frachtaufzüge finden sich praktisch überall.

Manche Bilder muten postapokalyptisch an…Kreiskrankenhaus Pirna 18

Kreiskrankenhaus Pirna 09

An manchen Details gehen viele der Besucher vermutlich achtlos vorüber…hier ein Sicherungskasten „made in GDR“ – sogar noch mit den typischen gelben Aufklebern.

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Selbst das Typenschild ist noch zu entziffern.

Schild VEB Elektroinstallationen

Einige der Zimmer sind zumindest noch in einem Zustand, der die einstige Funktion erahnen lässt. Man sieht hier förmlich vor dem geistigen Auge, wo die Betten gestanden haben.IMG-20220502-WA0071

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Für einen Besuch hier ist definitiv viel Zeit einzuplanen – drei Stunden vergehen wie im Fluge… vier mehrstöckige Hauptgebäude; alle sind unterkellert, teilweise mit 2 Etagen. Dazu noch einige Nebengebäude und die Verbindungsgänge…. es kommen einige Kilometer und Treppen zusammen…

Kreiskrankenhaus Pirna 33

Quellen:

Möckel, Thomas „Klinik im Dauerkoma“, in: Sächsische Zeitung, 04.11.2019

„Krankenhaus Pirna wurde 160 Jahre alt“, Wochenkurier, 23.09.2019

Schlechtinger, Sabine (Pressesprecherin Stadt Pirna) „Neues Klinikum Pirna eingeweiht – Oberbürgermeister Markus Ulbig: Meilenstein in Entwicklung der Stadt“ (Pressemitteilung zur Eröffnung des neuen Klinikums Pirna), 02.03.2007, Pirna

Pirna – Elbtalzentrale

Um ein Kraftwerk zu betreiben, benötigt man mindestens Wasser in großen Mengen zum Betrieb der Dampfturbinen und zur Kühlung sowie einen Brennstoff, meist Kohle. Beide Voraussetzungen erfüllte der Standort des Kraftwerkes perfekt: unweit der Elbe und direkt an der Bahnlinie und der Hauptverkehrsstraße des Elbtals gelegen.

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Dies waren auch die Ausschlag gebenden Gründe für die AEG, als sie in den Jahren 1912/1913 in Pirna ein Kraftwerk errichtete. Dieses sollte den Südsächsischen Raum zwischen Dresden und Bischofswerda bis zu den südlichen Landesgrenzen mit Strom versorgen. Die Kohle kam aus der Revieren der Niederlausitz und wurde per Bahn oder Schiff transportiert.

1908 begannen die ersten Planungen für die Errichtung der Überlandzentrale, wie Kraftwerke damals genannt wurden. Zunächst war nur eine Stromversorgung Pirnas und des nahen Umlandes vorgesehen. Architekt war der Kraftwerksplaner Werner Issel, damals noch Angestellter in der Bauabteilung der AEG (Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft) und noch nicht der bedeutende Industriearchitekt, als der er heute gilt.

Am 18.01.1911 wurde die Elbtalzentrale Aktiengesellschaft gegründet. Mit dem Bau des Kraftwerkes und des erforderlichen Kabelnetzes in Pirna wurde die AEG beauftragt. Das innerstädtische Kabelnetz wurde als 6 kV-Netz ausgelegt und gebaut – eine damals übliche Größe. Die Energieverteilung und die Schaltzentrale wurde 1912 fertig gestellt.

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Eine Verkopplung der Netze Pirna (Schaltzentrale Elbtalzentrale), Hirschfelde (dortiges Großkraftwerk, ca. 100 km entfernt) und Copitz (Wasserkraftwerk Copitz) gelang am 20. März 1913. Dieser Tag ist die Geburtsstunde zur regionalen flächendeckenden Energieversorgung für 8 Städte, 87 Gemeinden und 8 landwirtschaftliche Güter. Das Kraftwerk der Elbtalzentrale ging am 01. Juli 1913 ans Netz. Der Strom wurde zunächst mit einer 5.000 PS (=3.677,5 kW) starken Dampfturbine erzeugt. 1916 kam eine weitere Dampfturbine dazu, mit einer Leistung von 13.000 PS (= 9.561,5 kW).

1923 übernahm die Aktiengesellschaft Sächsische Werke die Elbtalzentrale und weitete das Stromnetz über Königstein bis nach Bad Schandau aus.

Ab 1924 (nach Inkrafttreten der Landeselektrizitätsverordnung Ostsachsen) fungierte die Elbtalzentrale nur noch als Spitzenlastkraftwerk und Umspann- und Verteilstation für den in größeren Kraftwerken (hier Lauta und Hirschfelde) erzeugten Strom. Im Jahr 1924 erzeugte das Kraftwerk insgesamt nur 4,1 Millionen kWh. Das entspricht etwa 3,5% der rechnerisch möglichen Erzeugungsleistung. Ein wirtschaftlicher Betrieb war unter diesen Bedingungen nicht möglich. Folgerichtig ging 1929 das Kraftwerk der Elbtalzentrale außer Betrieb. Es fungierte ab jetzt ausschließlich als Umspannwerk und Schaltzentrale.

Elbtalzentrale 06

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Kessel, Turbinen und Generatoren durch die russischen Besatzer als Reparation demontiert und in die Sowjetunion geschafft. Ebenso große Teile des Stromnetzes. Erst in den 1950er Jahren war das Stromnetz wieder stabil und die Schalt-, Umspann- und Verteilanlagen in der Elbtalzentrale versahen ihren Dienst noch bis in die 1970er Jahre hinein. Durch die Umstellung der örtlichen Verteilnetze von 6 KV auf die auch heute noch üblichen 20 kV waren die 6 kV-Schaltanlagen in der Elbtalzentrale nicht mehr zu gebrauchen. Einer Erneuerung fand nicht statt. Die Schaltanlagen und Transformatoren der Elbtalzentrale gingen vollständig vom Netz.

Die Gebäude wurden bis 1990 vom VEB Hauswirtschaft Pirna genutzt, hauptsächlich als Sitz der Verwaltung. Das Kesselhaus wurde zum Lager umfunktioniert. Nach dem Ende der DDR und dem Ende der VEB wurden die Gebäude als Fahrzeughalle und Werkstatt genutzt. Nach dem Aus für den Werkstattbetrieb 1996 wurde das Kesselhaus bis 1998 an eine Baufirma als Lager vermietet.

Seit dem stehen die inzwischen denkmalgeschützten Gebäude leer und verfallen.

Noch steht es, das sehr imposante Turbinenhaus.Elbtalzentrale 12

Das Innere fühlt sich an wie eine Kathedrale der Industriearchitektur.

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Ganz ähnliche Bilder aus dem KesselhausElbtalzentrale 01

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Die Graffitis scheinen hier nicht zu stören, sondern steigern die Surrealität des Ortes.

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Auf dem Fußboden kann man noch einige Fundamentreste erkennen (obwohl der Blick unweigerlich vom wunderschönen Oberlicht der Halle angezogen wird)

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Hier noch einmal (gänzlich ohne Ablenkung) der Fundamentrest…Elbtalzentrale 29

Nur sehr wenige Relikte sind noch zu erkennen, die auf die ursprüngliche Funktion der Halle schließen lassen. Einige undefinierbare Bauteile (die vermutlich der Beschickung der Kessel mit Kohle dienten) kann man unter dem Oberlicht erkennen; ebenso die Reste der Peitschenlampen, die aus der Nutzungsperiode um 1970 stammen dürften.

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Aus einer Wand ragt der schwenkbare Tragarm als Rest einer kleinen Winde. Die maximale Traglast kann man noch erkennen: eine Tonne.Elbtalzentrale 19

Eine Öffnung im Fußboden führt in die Unterwelt… hier liefen vor allem die Zu- und Ableitungskanäle für das Brauch- bzw. Kühlwasser. Ein großer Teil des Untergeschosses steht heute voller Wasser.Elbtalzentrale 38

Im Schalthaus finden sich noch diverse Zeugnisse der über 50jährigen Nutzung. Vandalen haben hier jedoch viel zerstört und beschmiert.

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Gut zu erkennen sind noch die vielen beschrifteten Schalt – (Abgangs-) Felder, obwohl die einzelnen Beschriftungen heute kaum noch zu entziffern sind.

Von den Kabeln und Schaltanlagen blieb inzwischen nichts mehr übrig.

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Vom einstmals prächtigen Treppenhaus kann man heute kaum noch etwas erahnen. Hier schreiten Verfall und Verwüstung mit großem Tempo voran.

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Elbtalzentrale 20

Vor allem die nach dem Ende der Elbtalzentrale als Schaltzentrale und Umspannwerk vorgenommenen Um- und Einbauten haben dem Charakter des Gebäudes nicht gut getan, um es vorsichtig zu formulieren.

Man kann nur hoffen, das sich recht bald ein finanziell tragbares Konzept findet, mit dem dieser Bau der Industriekultur erhalten werden kann.

Quellen:

[Hrsg.] Müller, Dr. Max „Illustrierter landwirtschaftlicher Vereins-Kalender für den Freistaat Sachsen und die Provinzen Sachsen und Brandenburg“, 49. Jahrgang, 1926, Dresden

[Hrsg.] Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Sächsische Landesstelle für Museumswesen „Industriearchitektur in Sachsen. Erhalten. Erleben. Erinnern“, 2020

Jensch, Hugo „Ein Beitrag zur Bevölkerungsgeschichte von Stadt und Kreis Pirna“, Pirna, 2005

Jurkiewicz, Falk „Umnutzung des E-Werks ELBTALZENTRALE Pirna“ (Studienarbeit an der FH Liechtenstein, 2005, Vaduz)

NVA – FRA 313 Kroppen

An der heutigen Landesgrenze zwischen Sachsen und Brandenburg liegt, mitten im Wald, die Raketenstellung der Flugabwehr-Raketen-Abteilung 313.

FRA 313 Kroppen 02Erbaut wurde das Objekt Anfang der 1960er Jahre im Zusammenhang mit den anderen zum FRR 31 gehörenden Stellungen (FRA 311 in Groß Döbbern, 312 in Großräschen, 313 in Kroppen und 314 in Großröhrsdorf).  Seit etwa 1963 befand sich diese Raketenstellung im Diensthabenden System der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der DDR. Als Raketentechnik wurde in den 1960er Jahren das System „Dwina“ genutzt. Nach umfangreichen technischen Modernisierungen in den 1970er Jahren wurde 1976 das neue Raketensystem „S-75 Wolchow“ eingeführt. Die Anzahl der Startsysteme wurde von 4 auf 6 erhöht.

Gedacht waren die FRAs 31x als 2. Staffel zur Luftraumüberwachung und Abwehr von eindringenden Flugzeugen aus Richtung West – Raum Thüringische Tiefebene – in der zweiten Staffel für den Raum Lausitz / Dresden. Durch Personalmangel und Geldknappheit gingen die Raketenstellungen des FRR-31 im Jahr 1984 aus dem Diensthabenden System der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der DDR und waren nicht mehr ständig besetzt. Die einzelnen FRA sollten nunmehr nur noch im Mobilmachungsfall voll besetzt werden. Für den regulären Betrieb einer FRA waren etwa 150 gut ausgebildete Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere erforderlich.

In erstaunlich gutem Zustand befind sich noch der Raketenlagerbunker.FRA 313 Kroppen 03Die elektrischen Außen-Installationen sind noch erhalten. Der Bunker selbst ist leer.

Im Bereich der Betankungsanlage für die Raketen liegen die Erdtanks noch an Ort und Stelle…FRA 313 Kroppen 04

Ein heute recht seltenes Bild der Technischen Zone zeigt die Kavernen zur Trink- und Brauchwasser-Aufbereitung, dahinter die noch erhaltenen Fahrzeugunterstände des Fuhrparks. Zwischen den Kavernen und den Fahrzeugunterständen führt der Weg nach rechts zum Raketenlagerbunker, nach links zum Unterkunftsbereich (A-Objekt)FRA 313 Kroppen 05

Nicht nur das Trafohaus für die Stromversorgung des Objektes ist noch erhalten, sondern auch ein Teil der Schaltanlagen ist noch zu erkennen – im Bild ein technisches Relikt aus den 1960er Jahren: ein manuell mittels Schaltstange zu bedienender Leistungsschalter.FRA 313 Kroppen 06

Der hier verbaute Transformator war sehr wahrscheinlich mit Öl gekühlt, wie die Kontrolleinrichtung für Ölproben zeigt.FRA 313 Kroppen 01

Ende der 1980er Jahre sollte eine neue Feuerstellung für die FRA 313 errichtet werden, da sich der Schießwinkel zur Bekämpfung von tief fliegenden Objekten als nicht optimal erwies. Die neue Stellung sollte in Lampertswalde entstehen. Der Ausbau begann 1988/1989, wurde aber nicht mehr fertig.

Die Bundeswehr übernahm den Standort formal zum 03.10.1990, um ihn (wie so viele andere) bis zum 31.12.1990 abzuwickeln. Danach wurde das Gelände sich selbst überlassen.

Ottendorf – Jugenderholungsheim Endlerkuppe

Abseits vom großen Weltgeschehen, eingebettet in die malerische Landschaft der Sächsischen Schweiz, befindet sich ein imposanter und markanter Gebäudekomplex.

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Die Größe der Anlage kann man auf einem historischen Luftbild sehr gut erkennen.

Luftbild Ottendorf

© SLUB / Deutsche Fotothek / Hahn, Walter, 1930, Lizenz: Freier Zugang – Rechte vorbehalten. http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/90072594

In sehr kurze Zeit (Planungsbeginn war 1927) wurde die vier Hektar umfassende U-förmige Gebäudeanlage in nur zwei Jahren von 1928 bis 1929 erbaut –  als Jugenderholungsheim der Gesellschaft Sächsischer Jugendwohnheime m.b.H. Es war das erste seiner Art in Deutschland!

Beteiligt waren neben dem Sächsischen Staat die Sozialversicherungsträger (Kranken – und Rentenversicherung), Kommunalverbände, Gewerkschaften und Jugendverbände. Reges Sponsoring lokaler Unternehmen (z.B. bei der Innenausstattung) unterstützte das Vorhaben.

Architekt war der lokal bekannte Dresdner Kurt Bärbig, der mit diesem Gebäudeensemble „einen Bau geschaffen [hat], der in der Architektur wie in der Inneneinrichtung die Ideale der Schönheit und Zweckmäßigkeit in vollkommener Weise vereinigt. Die Schönheit aller Formen und Farben vom Türgriff bis zum Beleuchtungskörper soll erzieherisch und geschmacksbildend auf die junge Generation wirken.“

Von der einstigen – fast schon als luxuriös bezeichneten – Einrichtung ist heute so gut wie nichts mehr zu erkennen. In einem der Baderäume sind noch die originalen Fliesen an den Wänden zu finden – im typischen Dekor jener Zeit.

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Jeweils 80 Jungen und Mädchen der Arbeiterjugend, sollten im Jugenderholungsheim Endlerkuppe in drei – bis vierwöchigen Aufenthalten  Erholung finden. Insgesamt 8 Gruppen aus 20 Jugendlichen lebten mit den Jugendleitern in einem großen Familienverbund, mit eigenen Schlafsälen, der in 2-Bett- Bereiche unterteilt war, eigenem Gruppentagesraum und eigenem Gruppenwasch- und Baderaum.

Für die „werktätige Jugend Sachsens“ im Alter zwischen 14 Jahren und 21 Jahren trugen entweder die Krankenkasse oder die städtischen Wohlfahrtsämter die Kosten. Für alle anderen Gäste betrug der Tagessatz 3,50 Mark.

Im Haupthaus befand sich der große Fest- und Speisesaal nebst Bühne und Filmvorführtechnik.

Von der einstigen Pracht und Schönheit des großen Saales ist heute nicht mehr viel zu sehen. Man kann sie nur erahnen.

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Jugenderholungsheim Endlerkuppe. Großer Saal © SLUB / Deutsche Fotothek / Hahn, Walter Lizenz: Freier Zugang – Rechte vorbehalten. Datierung: 1926-1928 http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/33098037

In den beiden Seitenflügeln waren die Unterkunftsräume untergebracht.

Auf dem 12 Hektar großen Gelände befand sich zudem noch ein Wirtschaftsgebäude, das auch eine Krankenstation beherbergte.

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Markantes Bestandteil des Ensembles ist der multifunktionale Wasserturm. Er besaß einen verglasten Windfang mit Aussichtsplattform; auf den einzelnen Ebenen des Turmes unterhalb des Wasserspeichers befanden sich kleine Einzelzimmer für Übernachtungsgäste.

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Von Weitem sieht der Turm aus, wie gerade verlassen. Im Untergeschoss und Zugangsbereich des ehemaligen Treppenhauses besteht jedoch akute Einsturzgefahr. Es sieht so aus, als wären die Tage des Turmes gezählt.

Das Tragische an der Geschichte dieser Gebäude ist, das dies ein Ort sein sollte frei von Ideologie und ideologischer Beeinflussung. Genau dieses Ideal endete  schon 1933.

War es bis dahin umstritten wegen seines vermeintlichen Luxus´, den sich Deutschland nicht leisten könne, kam ab 1933 der ideologische Faktor hinzu. Das gesamte Anwesen wurde nach dem Verbot der Arbeiterwohlfahrt in Sachsen 1933 enteignet und dem Parteivermögen der NSDAP zugeschlagen. Die Gebäude standen zunächst leer, bevor ab 1934 der Bund Deutsche Mädel (BDM) als einzige parteiamtliche Mädchenorganisation der NSDAP die Gebäude als BDM-Heim zur ideologischen Erziehung und Ausbildung nutzten. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges (nach 1940) wurde aus dem BDM-Heim eine BDM-Führerinnenschule und das Gebäudeensemble wurde „NS Burg Ottendorf“ genannt.

Kurz vor Kriegsende wurden hier dann junge Soldaten für ihren Einsatz an der Front in Schnell-Lehrgängen ausgebildet – das ganze nannte sich Wehrertüchtigungslager.

Ideologie prägte auch die Nutzung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Unmittelbar nach Kriegsende – Mai 1945 – beschlagnahmte die Gemeinde Ottendorf das Gelände und übertrug es im September 1945 an die Kreisleitung der Kommunistischen Partei. Diese Übertragung erfolgte keineswegs freiwillig, sondern auf Anweisung des Leiters des Ressorts für Inneres der Landesverwaltung Sachsen („zufällig“ KPD-Mitglied) an den Pirnaer Landrat (ebenfalls „rein zufällig“ KPD-Mitglied) „das von Ihnen beschlagnahmte Erholungsheim in
Ottendorf […] der Bezirksleitung der Kommunistischen Partei Sachsen für
Erholungszwecke konsequenter Antifaschisten und früherer politischer Häftlinge ab sofort – für vorläufig ein Jahr – zur Verfügung zu stellen“ Der wahre Grund musste schon verschleiert werden – zu merkwürdig war es wohl, in einem Gebäude, das bis vor ein paar Monaten noch von der NSDAP zur Ausbildung politischer Eliten genutzt wurde nun zur Ausbildung kommunistischer Eliten genutzt werden sollte.

Ende September 1945 wurden die Gebäude wieder in Betrieb genommen und ab Oktober 1945 dann als Parteischule genutzt, diesmal als kommunistische Eliteschule für Parteikader der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Neue Regierung, neue Ideologie, neue Kaderschmiede.

Straffes Schulungsprogramm, kasernierte Unterbringung ohne Urlaub und mit streng reglementiertem Ausgang brachten dieser Kaderschmiede bald den Spitznamen „Rotes Kloster“ ein.

Offiziell hieß sie zunächst Landesparteischule „Fritz Heckert“, ab 1947 – nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED – dann SED-Landesparteischule „Fritz Heckert“ bzw. SED-Sonderparteischule „Fritz Heckert“ und war als marxistisch – leninistische Ausbildungsstätte für die Spitzen-Führungskräfte der Partei bis 1989 in Betrieb.

Die Gebäude erfuhren einige Um-und Ausbauten im Inneren, z.B wurde ein kleiner Frachtaufzug eingebaut. Heute eine absolute Gefahrenquelle – der Schacht ist offen…

Relikte der letzten Nutzung sind nicht mehr erhalten. Völlig ausgeweidet bieten die Gebäude die üblichen Blicke auf leere Flure und Verfall.

.Seit der Nutzungsaufgabe nach dem Ende der DDR im Jahre 1989 stehen die Gebäude leer und verfallen.

Ottendorf Jugendferienheim 49Unnötig zu erwähnen, das das gesamte Ensemble unter Denkmalschutz steht…

Vor Ort erinnert nichts an die wechselvolle Geschichte dieses Ortes.

Selbst der einstige Wegweiser spiegelt inzwischen den Zustand der Bausubstanz. Unzählige Spuren im Schnee zeugen davon, das hier reges Begängnis herrscht, trotz der abseitigen Lage.

Gelände und Gebäude gehören heute einer Immobilienfirma – wie immer mit vielen hochtrabenden Ideen. Dabei ist es bis jetzt geblieben. Bald wird hier nichts mehr übrig sein, was einen Erhalt sinnvoll und bezahlbar macht. Leider. Und so verfällt – wieder einmal – denkmalgeschützte und geschichtsträchtige Bausubstanz.

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Quellen:

„Das erste deutsche Jugenderholungsheim“ veröffentlicht in „Arbeiterwohlfahrt“ 4/1929 (Friedrich-Ebert-Stiftung, Link zur Quelle)

Jensch, Hugo „Pirna unterm Hakenkreuz 1933-1945“

Schmeitzner, Mike „Schulen der Diktatur. Die Kaderausbildung der KPD/SED in Sachsen 1945 -1952 “ in: [Hrsg.] Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden, Berichte und Studien Nr. 33

SLUB – Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden / Deutsche Fotothek

Weber, Anja „Was wird aus dem Ex-Erholungsheim?“, Sächsische Zeitung, 17.03.2020

Leipzig – Speicher im Hafen Lindenau

Die markanten Speicher-Gebäude des ehemaligen Reichsnährstandes (RNST) prägen das Bild vieler Häfen und Eisenbahnknoten.

Für den geplanten Leipziger Binnenhafen im Ortsteil Lindenau, der über den Saale – Elster – Kanal an das deutsche Wasserstraßennetz angeschlossen werden sollte, wurden im Zuge der Kanalbauarbeiten ab Mai 1938 auch gleich die drei Speichergebäude am Umschlagbecken I errichtet.

Reichsnährstand-Speicher Leipzig-Lindenau um 1940

Kanalhafen in Leipzig-Lindenau um 1940 – rechts das ausgehobene aber nicht geflutete Hafenbecken. Bildnachweis: SLUB/ Deutsche Fotothek / Lindner, P. http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70041193 (Freier Zugang – Rechte vorbehalten.)

Die Ironie an der Sache: weder der Kanal wurde fertig gestellt, noch das Hafenbecken. So blieb der Leipziger Hafen in Lindenau fast 80 Jahre lang ein Hafen ohne jegliche wasserseitige Anbindung. Bis zum Kriegsende wurden die Gebäude als Getreide-Speicher durch private Unternehmen bzw. Genossenschaften für den Reichsnährstand genutzt. An- und Abtransporte erfolgten über eine Straße und über ein Bahngleis.

Die 3 Speicher

Die drei markanten Speichergebäude wurden vollständig aus Stahlbeton errichtet. Gut zu erkennen ist die Stahlbeton-Skelett-Konstruktion und die massiven, aus Beton gegossenen, Decken. Der mit Ziegeln verkleidete Dachstuhl verdeckt die massive Betondecke der Gebäude. Bombensicher waren sie vermutlich nicht, boten jedoch guten Schutz gegen Splitter. Die großen Abstände zwischen den Gebäuden waren gewollt – man wollte im Falle von Bombenangriffen verhindern, das durch einen Treffer alle Gebäude beschädigt werden.

Speicher M. R. A. Schneider

Das linke (nördliche) Speicher-Gebäude gehörte der Firma M.R.A. Schneider Hafen – Umschlag – Speicherei. Baubeginn für diesen 5.000 – Tonnen-Speicher war 1939.

Schneider 2 (1)

Fertig gestellt wurde er ein Jahr später, im Sommer 1940. Zunächst wurde hier Getreide für die Zivilbevölkerung Leipzigs eingelagert.

Schneider 4

1946 wurde der Bodenspeicher des Gebäudes zu einer Ölmühle umgebaut, die Ende 1947 in Betrieb ging. Im Speichergebäude wurden nun unter der Firma M. R. A. Schneider OHG (Ölmühle und Getreidespeicher) vorrangig Ölfrüchte einlagerte und verarbeitet. 

Am 7. April 1953 wurde dieses Traditionsunternehmen enteignet.

KonstruktionsdetailAm 14.05.1966 ereignete sich im Gebäude um 2.55 Uhr früh vermutlich eine Staubexplosion, die einen Teil des massiven Gebäudes regelrecht weg sprengte.

Danach schien die Ölproduktion eingestellt worden zu sein, denn das Unternehmen firmierte nun unter der Bezeichnung BSB Betrieb mit staatlicher Beteiligung M. R. A. Schneider Getreidesilo.

Ab dem 06.04.1972 wurde das Unternehmen unter dem Namen VEB Hopfenextraktion Leipzig weitergeführt und das halb zerstörte Gebäude als Lagergebäude genutzt. Die Schlußbilanz des nunmehr endgültig enteigneten Traditionsunternehmens M. R. A. Schneider OHG weis per 30.April 1972 eine Bilanzsumme von 5.129.150,03 Mark der DDR aus.

Schneider 6Warum der zerstörte Teil des Gebäudes nicht wieder instand gesetzt wurde, ist vermutlich der Mangelwirtschaft zuzuschreiben. Wie stabil das Gebäude gebaut wurde, erkennt man an den nunmehr freiligenden Gebäudestrukturen. Hier bestand alles aus stabilem Stahlbeton, so das der unbeschädigte Gebäudeteil bis 1989 teilweise weiter als Lager genutzt wurde. Die eigentliche Hopfenverarbeitung fand in einem eigens vor dem halb zerstörten Speicher errichteten Anbau statt, der nach 1989 abgerissen wurde.

Speicher HA-LA-GE

Das mittlere der Speicher-Gebäude wurde von der ehemaligen Hafen-Lager-Gesellschaft, abgekürzt HA-LA-GE, genutzt.

HA-LA-GE 2

In den Zeiten der DDR-typischen Großbetriebe befand sich hier das Großlager II des VEB Kombinat Getreidewirtschaft. Das Gebäude war immer noch in Takt und wurde sozusagen im Originalzustand weiter genutzt. Im Laufe der DDR-Nutzung wurde noch ein kleines Pförtner-Häuschen errichtet, das den Zugang zum Betriebsgelände bewachte.

Pförtnerhaus

Als die Nutzer den Getreidespeicher Anfang der 1990er Jahre aufgaben, ließen sie alles stehen und liegen. Es sieht aus, als machten die Arbeiter gerade eine Pause und kehren gleich in das Gebäude zurück.

HA-LA-GE innen 03

Nur die allgegenwärtigen Graffities zeugen davon, das das Gebäude schon längere Zeit leer steht. Überall kann man die Zeichen der ehemaligen Nutzung erkennen: Getreide-Abfüllanlagen, Absackanlagen, Förderbänder…

Förderband

…. dicke Rohre, durch die das Getreide mit Druckluft geblasen wurde…

Rohre

Allerdings bietet sich bei den elektrischen Anlagen ein Bild des Grauens. Hier waren die obligatorischen Metalldiebe am Werk und haben für Verwüstung gesorgt.

HA-LA-GE innen 01

Kabel findet man hier keine mehr. 

Allgegenwärtig und äußerst gefährlich sind die unzähligen Bodenöffnungen innerhalb und außerhalb des Gebäudes. Viele sind nicht oder nur provisorisch gesichert!

 

Speicher Rhenus

Rhenus-Gebäude swDie 1912 gegründete Rhenus Transport GmbH war unter anderem auf die Binnenschiffahrt fokussiert. Sie betrieb an vielen Wasserstraßen Speichergebäude für den Güterumschlag. Das Gebäude am Lindenauer Hafen wurde als Getreidezwischenspeicher zur Getreidetrocknung genutzt. Erkennbar ist das an den vielen Fenstern, die für eine gute Belüftung der Getreide-Trocken-Böden sorgten.

Zu Zeiten der DDR befand sich auf dem Gelände das Leipziger Kraftfutter-Mischwerk (Lei-Kra genannt), das den Speicher und den bereits 1940 errichteten Büroanbau zunächst weiter nutzte.

Ende der 1960er wurde das Speicher-Gebäude zu einem Verwaltungsgebäude umgebaut – die vielen Fenster des Trocknungs-Speicher vereinfachten das Vorhaben. Das Lei-Kra-Gelände wurde nach und vergrößert. Das Speichergebäude wurde in den bereits vorhandenen Anbau integriert; weitere Gebäude – vor allem Baracken – wurden errichtet.

LeikraIn den 1970er Jahren wurde ein weiteres großes Gebäude errichtet, das sich fast unmittelbar an den Rhenus-Getreidespeicher anschloss.Der mehr als 30 Meter hohe Betonklotz enthält jedoch keinen Speicher, sondern die Kraftfutter-Mischanlage. Die Anlage ist bis heute in Betrieb. Der Rhenus-Speicher beherbergt heute Büroräume.

Die drei historischen Speichergebäude (M.R.A.Schneider, HA-LA-GE und Rhenus) stehen heute (und bis jetzt) unter Denkmalschutz. Inwieweit sie durch die geplante Neugestaltung des Lindenauer Hafens erhalten werden können, bleibt abzuwarten.

 

Quellen:

Bilder (mit Ausnahme des historischen Bildes) mit freundlicher Genehmigung von Alexander Köhler (2020); historisches Bild: SLUB – Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Denkmalliste vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Stand 2017

[Hrsg.] Denzer, Vera / Dix, Andreas / Porada, Haik Thomas „Leipzig. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme im Raum Leipzig“, 2015

Schneider, Hellmuth „Chronologischer Bericht über die Entwicklung der Leipziger Firma M.R.A. Schneider“, 1970 (unveröffentlicht)