Guben – Berlin- Gubener Hutfabrik AG

Zur ihrer Blütezeit war es die bedeutendste Hutfabrik des europäischen Kontinents: Die Berlin– Gubener Hutfabrik AG.

Gegründet wurde das Unternehmen vom jüdischen Geschäftsmann Apelius Cohn im Jahre 1859 in Berlin. In der Berliner Burgstraße 21 war der Sitz der Firma A. Cohn Hut-Furniturenhandlung. Mit der Geschäftsleitung beauftrage er seinen Schwager Hermann Lewin. Es ist das Verdienst von Hermann Lewin, das schon bald nicht nur Wollfilzerzeugnisse (z.B. Wollstumpen für Damenhüte) produziert wurden, sondern die Wertschöpfungskette auf die Hutproduktion ausgedehnt wurde. Hermann Lewin wurde in der Folge Teilhaber am Cohn´schen Unternehmen. 1876 errichtete die Firma Cohn eine weitere Fabrik im Zentrum der Deutschen Hut- und Textilindustrie: in Guben. In unmittelbarer Nähe befand sich der Wohnsitz der Familie Lewin (sogenannte Villa Cohn).

Guben - BGH AG 001

Mit Eintrag in das Handelsregister am 01.06.1888 wird die Berlin – Gubener Hutfabrik, Aktien-Gesellschaft, vorm. A. Cohn gegründet.  Vorstand: Apelius Cohn und Herrmann Lewin, Vorsitzender des Aufsichtsrates: Siegmund Sommerfeld, Sitz der Gesellschaft ist noch Berlin mit Zweig in Guben; Besitztum der Gesellschaft: die früher von Apelius Cohn in Berlin und Herrmann Lewin in Guben unter der Firma A. Cohn betriebenes Filzhut- und Stumpen-Fabrikationsgeschäft, die zu demselben gehörigen in Guben, Uferstraße 5, belegenen Grundstücke, Fabrikgebäude nebst sämtlichen zum Betriebe gehörigen Maschinen, Inventar und Vorräte, überhaupt mit allem Zubehör, wie alles am 31.12.1887 lag und stand, mit Aktiven und Passiven übernommen für 687.000 Mark1)

Seit der Gründung ist das Unternehmen an der Berliner Börse notiert.

Die Geschäfte liefen gut, der Reingewinn für das Geschäftsjahr 1889 lag bei 171.311 Mark (1884 lag er bei 110.459 Mark); die Aktionäre freute es: der Einführungskurs an der Berliner Börse am 7.6.1888 war 128,00 Mark; der Kurs stieg bis zum 31.12.1889 auf 160,50 Mark. Der Gewinn stieg im Geschäftsjahr 1895 auf 216.535,45; der Aktienkurs kletterte auf 164,00 Mark2).

Mit der Lieferung einer Dampfmaschine im Jahre 1895 durch die Görlitzer Maschinenbauanstalt hielt die Dampfkraft Einzug, was die Produktivität deutlich erhöhte.

Guben - BGH AG 101Zwischen 1904 und 1905 entsteht ein weiterer Fabrikneubau in der Gubener Uferstraße. In der Lokalzeitung vom 04. Dezember 1904 heißt es dazu: „In der Uferstraße ist das mächtige Fabrikgebäude der Berlin-Gubener Hutfabrik, vormals Cohn, mit seinen vier Stockwerken und einer Frontlänge von fast 20 Fenstern zum größten Teile fertiggestellt; nur die Giebel ermangeln noch des Abschlusses. 3)

Am 07. Mai 1906 stirbt der Firmengründer Apelius Cohn.

Am 21. November 1906 vermeldet die Gubener Zeitung: „Zusammenschluß zweier Hutfabriken. Der Aufsichtsrat der Berlin- Gubener Hutfabrik hat eine außerordentliche Generalversammlung einberufen, um über den Ankauf der Lißnerschen Hutfabriken in Guben und die dadurch notwendige Erhöhung des Aktienkapitals der Gesellschaft von 1 250 000 M auf  8 000 000 M unter Ausschluß des Bezugsrechtes der Aktionäre Beschluß zu fassen. Es wird ferner vorgeschlagen, den Sitz der Gesellschaft von Berlin nach Guben zu verlegen. Wie wir erfahren, ist der Zusammenschluß der beiden Fabriken durch Vermittelung der zum Conzern der Deutschen Bank gehörigen Niederlausitzer Kredit- und Aparbank-Aktiengesellschaft in Guben herbeigeführt worden. Die neuen Aktien sollen von einem unter Leitung der Deutschen Bank stehenden Konsortium übernommen werden. 4)

Berthold Lissner trat im Zuge der Fusion in den Vorstand der Berlin– Gubener Hutwerke ein. Zudem blieb er Leiter seines früheren Betriebes, der nun die Bezeichnung “Abteilung Lissner” innerhalb des Konzerns führte und somit auch eine gewisse Eigenständigkeit behielt.

1908 wird der Bau einer Reihenhaussiedlung für Arbeiter der Berlin– Gubener Hutfabrik in Angriff genommen5). Anlässlich des 25-jährigen Firmenjubiläums stiften die Berlin– Gubener Hutfabrik und ihr Generaldirektor Dr. Alexander Lewin jeweils 25.000 Mark für die Errichtung eines städtischen Säuglingsheimes6).

Die Geschäfte liefen gut, wie aus einer Meldung vom 24. Januar 1913 hervorgeht:  „Export nach China. Die fortschreitende Europäisierung Chinas hat […] auch der Berlin-Gubener Hutfabrik, Akt.-Ges. vorm. A. Cohn in Guben, bedeutende Aufträge gebracht. Mit deren Ausführung ist die Firma schon seit längerer Zeit beschäftigt. Der Abschluß für 1912 wird, wie weiter gemeldet wird, sehr gute Ziffern zeigen, in Börsenkreisen rechnet man ziemlich bestimmt auf die Ausschüttung einer Dividende von 16 Prozent (i. V. 14 Prozent) 7)

1913 steigt man in das Geschäft mit der Fez-Produktion ein. Am östlichen Ufer der Neiße (Am Damm 6 – heute nichts mehr davon zu sehen) wird als Tochtergesellschaft die Union-Fez GmbH gegründet. 250 Mitarbeiter produzieren den Exportartikel für die Türkei: Feze aus Wolle.

Eine erste Zäsur stellt der Ausbruch des ersten Weltkrieges dar. Im Jahr 1914 werden sämtliche Wollvorräte beschlagnahmt. Dies führt dazu, dass die gesamte Wollhutproduktion zum Erliegen kommt. Nur die Haarhutproduktion läuft noch. In der Union-Fez GmbH werden nun Strümpfe produziert. Nach Kriegsende, 1918, läuft die Wollhutproduktion wieder an.

1918 erwirbt die Berlin- Gubener Hutfabrik eine strategische Beteiligung an der Gubener Maschinenfabrik Wilhelm Quade G. m. b. H. Hier werden vor allem Maschinen für die Hutherstellung hergestellt und repariert.

1921 spendet das Unternehmen zum wiederholten Male eine größere Summe an die Stadt, die für Hilfebedürftige Menschen vorgesehen ist. Die Lokalzeitung vermeldet dazu am 18. Dezember 1921: „Hochherzige Weihnachtsspende. Wie wir hören, hat die Berlin Gubener Hutfabrik AG (vorm. A Cohn) dem Magistrat der Stadt Guben zur Linderung der herrschenden Not unter den Bedürftigen der Stadt wiederum einen größeren Betrag (100 000 M) zur Verfügung gestellt. Durch diese hochherzige Weihnachtsspende kann viel Not und Elend gemildert werden und dankbar werden die Bedürftigen der wohltätigen Spenderin gedenken. 8)

Zur Zentralisierung der Haarhut-Herstellung wird im Jahr 1922 die seit 1907 bestehende Berlin- Gubener Haarhutfabrik GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.

Die bisher getrennt fabrizierenden Haarhut – Abteilungen in den verschiedenen Werken wurden zusammengefasst und konzentriert. Im Fabrikgebäude in der Alten Poststraße werden nun alle Arten von Haarhüten hergestellt: steife, weiche, Velour- und Feder-Hüte, Herren- und Damenhutstumpen; mit über 700 Beschäftigten ist sie zugleich die größte deutsche Haarhutfabrik.

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Die Zeit der Hyperinflation im Jahr 1923 übersteht das Unternehmen vermutlich nur aufgrund seiner Größe; Opfer der massiven Geldentwertung wurden dagegen die betriebseigenen Krankenkassen und die betriebseigene Unterstützungskasse. Deren Vermögen bestand im Wesentlichen nur aus Bar- und Buchgeld, dass am Ende nichts mehr wert war.

In den sogenannten Golden Zwanziger Jahren der Weimarer Republik, die mit der Einführung der Rentenmark 1924 die Zeit der Inflation beendete, erholte sich das Unternehmen. Die Mitarbeiterzahl stieg auf 4.800 – etwa ein Viertel der Gubener Familien lebte von einer Beschäftigung in der Berlin- Gubener Hutfabrik.

Am 30. August 1925 verbietet die türkische Regierung das Tragen der traditionellen Kopfbedeckung Fez – dies trifft insbesondere die Union-Fez GmbH hart, da diese hauptsächlich für den türkischen Mark produzierte. Die Produktion wird daraufhin von Fezen auf Baskenmützen umgestellt, die neu in Mode gekommen sind.

Trotz der Stilllegung von zwei Fabriken in der folgenden Weltwirtschaftskrise 1929/1930 sind Anfang der 1930er Jahre noch 3.500 Mitarbeiter beschäftigt.

Zu den Großaktionären jener Zeit zählten das Bankhaus Jarislowsky & Co., die Darmstädter und Nationalbank sowie die Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft.

Am 29.05.1934  – nur ein Jahr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten – wird der Name des jüdischen Firmengründers aus dem Unternehmensnamen gestrichen. Aus der „Berlin- Gubener Hutfabrik A.G., vorm. A. Cohn“ wird die „Berlin- Gubener Hutfabrik Aktiengesellschaft„.

Die sogenannte „Arisierung“ im Jahre 1938 machte auch vor der Berlin– Gubener Hutfabrik nicht halt. Die Unternehmerfamilien wurden enteignet, ihr Unternehmen verstaatlicht. Der Vorstandsvorsitzende, Dr. Alexander Lewin, floh in die Schweiz; Walter und Helmut Lissner, zwei Söhne von Berthold Lissner (ebenfalls Juden), die nach dem Tode ihres Vaters als Prokuristen im Unternehmen arbeiteten, wurden entlassen. Walter Lissner gelang die Flucht nach Bolivien; Helmut Lissner kam im Oktober 1944 in Auschwitz um.

In den Folgejahren übernimmt der nunmehrige Staatskonzern weitere Unternehmen: 1939 die Spinnstoffgesellschaft m. b. H. in Schwarza; bis zum Jahr 1942 sukzessive die Gubener Hutfabrik Kommanditgesellschaft vorm. Steinke & Co.

In den Kriegsjahren kam es zunehmend zu Versorgungsengpässen beim Rohmaterial (hauptsächlich Wolle); vermutlich wurde auch ein großer Teil der Produktion auf Wehrmachtsbedarf umgestellt.

1943 wird das (inzwischen kriegsbedingt nicht mehr genutzte) Fabrikgebäude an der Uferstraße an die Berliner Firma C. Lorenz AG vermietet. Die Lorenz AG verlagerte ihre kriegswichtige Produktion aus Berlin – Tempelhof unter anderem nach Guben. Nach Investitionen in Höhe von 1,9 Millionen Reichsmark wurden hier statt Hüte nun Funkgeräte für die Luftwaffe hergestellt.

Aufgrund der näher rückenden Front wurde die Gubener Bevölkerung am 06. Februar 1945 aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Viel Zeit blieb nicht; in den Fabriken verblieb fast alles an Ort und Stelle.

Nach dem Kriegsende im Mai 1945 war Guben zu 90% zerstört; die Stadt geteilt, der größte Teil gehörte nun zu Polen; die Fabriken befanden sich jedoch westlich der Neiße in der sowjetischen Besatzungszone. Alles was nicht zerstört oder niet- und nagelfest war, wurde demontiert und zu Reparationszwecken in die Sowjetunion geschafft. Das Unternehmen wurde enteignet und die Fabrikgebäude mit dem übrig gebliebenen Inventar zunächst als VEB Berlin-Gubener Hutfabrik weiter geführt.

Handelsrechtlich wurde der Sitz der Gesellschaft am 22.02.1949 nach Kassel-Bettenhausen verlegt. Das letzte buchtechnische Grundkapital  in Höhe von 6,3 Millionen Reichsmark wurde am 25.05.1951 auf Deutsche Mark umgestellt. Zum Kurs von 100:3. Übrig blieben 189.000 DM. Am 26.10.1959 wird der Sitz nach Recklinghausen verlegt. 1965 wird die Gesellschaft in eine GmbH umgewandelt und als Hutfabrik Recklinghausen GmbH weiter geführt9). In den 1970er Jahren wurde die Gesellschaft im Handelsregister gelöscht.

In Guben lief die Produktion unter schwierigsten Bedingungen wieder an.

Im Jahre 1952 verschwand dann nicht nur der einst weltbekannte Name der „Berliner-Gubener Hutfabrik“, sondern auch die Namen aller anderen bekannten Gubener Hutfabriken. Durch die Gründung des VEB Vereinigte Hutwerke im Jahre 1952 wurden die verschiedenen Unternehmen zwangsweise fusioniert: VEB Berlin-Gubener Hutfabrik, VEB Gubener Werthutfabrik – ehemals Hutfabrik C.G. Wilke – und VEB Hutfabrik Olympia – ehemals Hutfabrik Rudolf Fugmann. Produziert wird hauptsächlich im ehemaligen Werk der Hutfabrik Wilke in der Gasstraße und im Gebäude der Berlin- Gubener Hutfabrik in der Poststraße. Die Fabrikgebäude in der Uferstraße wurden dem VEB Gubener Wolle zugeschlagen.

1970 wird das VEB Hutkombinat Guben gegründet – dem Stammbetrieb VEB Vereinigte Hutwerke Guben wurden dabei angegliedert: VEB Luckenwalder Hutfabrik, VEB Hutstoffwerk Reichenbach, VEB Hutstoffwerk Taucha. Diesem sozialistischen Äquivalent eines Großkonzerns war nur eine kurze Lebenszeit beschieden, im Jahre 1980 wurde das Kombinat aufgelöst, die Unternehmen „zwangsfusioniert“ und unter dem Namen VEB Hutwerke Guben weiter geführt.

An die Blütezeit der Gubener Hutproduktion- mit insgesamt 6.000 Beschäftigten – reichte man bis 1989 nie mehr heran. Als die DDR 1989 zusammenbrach, arbeiteten etwa 1.200 Menschen im VEB Hutwerke Guben. Ende 1990 wird aus dem VEB eine GmbH mit neuem Namen: Gubener Hüte GmbH. Einziger Gesellschafter war die Treuhandanstalt; unter der Ägide der Treuhandanstalt sank die Mitarbeiterzahl innerhalb eines Jahres um 50% auf  600; nach zwei weiteren Jahren blieben im Jahre 1992 nur noch 70 Mitarbeiter übrig. Die Gubener Hüte GmbH wurde am 01.01.1993 privatisiert – verkauft an einen Blumenhändler aus Bad Salzuflen. Die Mitarbeiterzahl wurde weiter reduziert: auf 39 im Jahre 1996; investiert wurde nichts. Es kam, wie es kommen musste. Im Juni 1999 war endgültig Schluss und fast 200 Jahre Hutmacher-Tradition in Guben landeten auf dem Müllhaufen der Geschichte.

Fast vergessen sind heute die Namen von Apelius Cohn, Hermann Lewin und seinem Sohn Dr. Alexander Lewin, von Carl Gottlob Wilke und seinem Sohn Friedrich, von Berthold Lissner, Emil Brecht und Rudolf Fugmann. In Vergessenheit geraten ist auch, das Guben über ein Jahrhundert hinweg die führende Hutmacherstadt Deutschlands und Kontinentaleuropas war.

Von den vielen Fabrikbauten der Gubener Hutmacher, die einst das Stadtbild der Gubener Vorstadt prägten, blieb nicht viel übrig.

Quellen:

1) Hertslet, W.L. „Saling´s Börsen-Papiere. Zweiter (finanzieller) Teil. Saling´s Börsen-Jahrbuch für 1890 / 91. Ein Handbuch für Bankiers und Kapitalisten“, Berlin, 1890, S. 756 f.

2) „Handbuch der Deutschen Aktien-Gesellschaften. Ein Hand- und Nachschlagebuch für Bankiers, Kaufleute, Industrielle, Kapitalisten etc.“, Ausgabe 1896/1897, Leipzig, 1896, S. 190

3) Gubener Zeitung, 4. Dezember 1904

4) Gubener Zeitung, 21. November 1906

5) Gubener Zeitung, 6. Dezember 1908

6) Gubener Zeitung, 30. April 1913

7) Gubener Zeitung, 21. Januar 1913

8) Gubener Zeitung, 18. Januar 1921

9) Glasemann, Hans-Georg / Korsch, Ingo „Hoffnungswerte. Ungeregelte Ansprüche aus Wertpapieremissionen vor 1945 und ihre Entschädigung nach der Wiedervereinigung“, Wiesbaden, 1991

[Hrsg.] Stein, Erwin „Monographien deutscher Städte“, Band XXV Guben, Berlin, 1928

Peter, Andreas „Gemeinschaftslager Koenigpark“, in: „Das Blättchen. Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft“, 20. Jahrgang,  Nr. 10, 08. Mai 2017

Rohnstock, Katrin / Jacobsen, Heike „Guben. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Geschichten aus drei Erzählsalons“, Berlin, 2023

„Berthold Lissner – ein bedeutender Gubener Unternehmer, Kommunalpolitiker und Mäzen“ in: „Niederlausitz aktuell“, 14.August 2008 (online)


Guben - BGH AG 017

WasWOStatus
A. Cohn Hut-FurniturenhandlungBurgstraße 21, Berlindurch Kriegseinwirkung 1945 komplett zerstört, danach abgerissen; Gelände komplett neu bebaut
Gubener Haarhutfabrik GmbHAlte Postraße 60, GubenGebäude zum großen Teil abgerissen; ein Teil des Nord-Ost-Flügels steht noch – leer stehend, nicht begehbar
Berlin-Gubener Hutfabrik AG, vorm. A. Cohn
Hauptverwaltung
Uferstraße 7, Gubenrepräsentative Villa auf Parkgrundstück noch erhalten; in Privateigentum, nicht begehbar
Berlin-Gubener Hutfabrik AGUferstraße 20-28, GubenFabrikgebäude an der Straßenfront noch erhalten; nachgenutzt durch das „Plastinarium“; weitere Gebäude zur Neiße hin abgerissen
Hutfabrik Berthold Lissner („Abteilung Lissner“)Bereich Winkelstraße / Inselstraße, Guben1945 durch Kriegseinwirkung schwer zerstört, danach teilweise abgerissen; einige Gebäude noch bis 1990 nachgenutzt; 1998 komplett abgerissen; 2008 wurde die „Inselstraße“ in „Berthold-Lissner-Straße“ umbenannt
Union-Fez GmbHAm Damm 6, Guben1945 durch Kriegseinwirkung schwer zerstört; danach komplett abgerissen
(Fabrikkomplex lag östlich der Neiße – heute Polen)
Gubener Hutfabrik Kommanditgesellschaft, ehemals Steinke & CoAlte Poststraße 31, GubenGebäude 1938 abgebrannt; Reste 1953 abgerissen und mit Wohnhäusern bebaut
Gubener Hutfabrik Kommanditgesellschaft, ehemals Steinke & CoBahnhofstraße 2, GubenFabrikgebäude noch erhalten; diverse Nachnutzungen nach 1945 (Volkshochschule, Lehrlingswohnheim, Berufsschule); Gebäude in Privatbesitz und teilweise nachgenutzt

Guben – Villa Cohn

Vergessen sind heute die Namen Apelius Cohn, Hermann Lewin und Dr. Alexander Lewin. Erhalten werden konnte der repräsentative Wohnsitz der Familie Lewin, der ein wichtiges Kapitel Gubener Stadt- und Industriegeschichte erzählt.

Der Geschäftsmann  Apelius Cohn gründete im Jahre 1859 in Berlin die Firma A. Cohn Hut-Furniturenhandlung. Mit der Geschäftsleitung beauftrage er seinen Schwager Hermann Lewin. Es ist das Verdienst von Hermann Lewin, das die Produktion um Wollfilzerzeugnisse und Hüte erweitert wurde, die bald in ganz Europa einen exzellenten Ruf hatten. Hermann Lewin wurde in der Folge Teilhaber am Cohn´schen Unternehmen. 1876 errichtete die Firma Cohn eine weitere Fabrik in der Gubener Poststraße.

1888 wird aus der Fa. A. Cohn die Berlin – Gubener Hutfabrik Aktien – Gesellschaft. Produziert wurden Herren- und Damenhüte aus Filz, Stroh und Kunstgeflecht. 1922 hatte das Unternehmen bereits 3.000 Beschäftigte und wurde zu Deutschlands führendem Hersteller für Hüte. Bis 1934 lautete die Firmenbezeichnung Berlin-Gubener Hutfabrik AG, vorm. A. Cohn, danach nur noch Berlin-Gubener Hutfabrik AG (der Firmengründer Apelius Cohn war schon 1906 verstorben). Zum Firmenbesitz gehörten diverse Park- und Wohngrundstücke, unter anderem auch nebeneinander liegende Grundstücke in der Alten Poststraße.  Auf diesen Grundstücken in der Gubener Poststraße wurde eine prächtige Villa als Familienwohnsitz der Gründerfamilie errichtet.

Guben - Villa Cohn 001

Wann genau die klassizistische Villa errichtet wurde – 1860, wie es am Gebäude vermerkt ist, oder erst um 1875, als das Familienunternehmen den Schwerpunkt seiner geschäftlichen Aktivitäten nach Guben verlagerte – ist ein bis heute nicht gelöstes kleines Geheimnis Gubener Stadt- und Industriegeschichte.

Villa Cohn - 1860

Die Villa war der Familienwohnsitz der Gründerfamilie Lewin – den Namen „Villa Cohn“ hatte sie wahrscheinlich wegen der früheren Firmenbezeichnung. Das Fabrikgebäude befand sich gleich neben der Villa. Ein zeitgenössisches Bild aus dem Jahr 1913 zeigt die Villa Cohn direkt neben dem riesigen Fabrikgebäude.

Vom Fabrikgebäude steht heute nur noch ein Teil des Ostflügels; auch der hintere Anbau der Villa Cohn  (wahrscheinlich das Wirtschaftsgebäude) ist heute nicht mehr erhalten.

Guben - Villa Cohn 002

Die südlichen Nachbarn der Lewins war die Familie Lehmann, die größten Tuchfabrikanten Gubens. Man war hier sozusagen unter seinesgleichen und musste natürlich repräsentieren. Im Vergleich zur Villa der Lehmanns kommt die Villa Cohn eher bescheiden daher.

Im Jahre 1920 starb Hermann Lewin; sein Sohn Dr. jur. Alexander Lewin, der schon früh in das Familienunternehmen eingestiegen war und seit 1914 Mitglied des Vorstandes war, übernimmt als Generaldirektor die Leitung des Unternehmens. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 verschlechterten sich die Lebensumstände für die jüdische Familie Lewin drastisch. Noch am 6. März 1933 wurde Alexander Lewin zum widerholten Male einstimmig zum Vorsitzenden der Industrie- und Handelskammer in Cottbus gewählt. Auf Druck der nationalsozialistischen Regierung musste er dieses Amt wegen seiner jüdischen Herkunft bereits einen Monat später aufgeben. Im Sommer 1938 reiste er – zunächst offiziell als Kuraufenthalt bezeichnet – in die Schweiz. Anfang September 1938 legte er sein Vorstandsamt in der Berlin-Gubener Hutfabrik AG nieder. Nachdem er im März 1939 bekannt gab, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, wurde sein gesamtes in Deutschland befindliches Vermögen gesperrt. Er konnte im Juni 1939 noch sein Umzugsgut – jedoch ohne nennenswerte Wertsachen – aus dem Deutschen Reich ausführen. Am 4. August 1941 entzog ihm der Reichsinnenminister die deutsche Staatsbürgerschaft und sein Vermögen wurde konfisziert, auch die Villa.

Nach dem Krieg wurde das Gebäude im Inneren zu Wohnungen umgebaut und bis 1992 zu Wohnzwecken genutzt. Ab 1992 stand das Objekt mehr als 20 Jahre leer, kam 2011 in Privatbesitz und wurde ab 2016 umfangreich saniert. Heute beherbergt das gerettete Gebäude eine Seniorenresidenz.

Vom ehemaligen riesigen Fabrikgebäude der Berlin-Gubener-Hutfabrik, das unmittelbar nördlich an das Villengrundstück angrenzt – blieben nur kümmerliche Reste übrig.

Guben - Villa Cohn 003

Quellen:

[Hrsg.] Stadt Guben, Denkmalobjekte der Stadt Guben, Internetpräsenz guben minus gubin Punkt eu – Eintrag „Villa von Dr. jur. Alexander Lewin (vorm. A. Cohn)“

[Hrsg.] Stein, Erwin „Monographien deutscher Städte“, Band XXV Guben, Berlin, 1928


WASWOSTATUS
„Villa Cohn“ – Familienwohnsitz der Hutfabrikenten-Familie LewinAlte Poststraße 61, Gubensaniert, in Privatbesitz; Nutzung als Seniorenresidenz; nicht öffentlich begehbar

Guben – VEB Fischverarbeitung

Am Westufer der Gubener Nordbrücke wurde am 14. November 1892 nach knapp 2 Jahren Bauzeit der städtische Schlachthof eröffnet.

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Guben – Nordbrücke – Westufer mit Resten des städtischen Schlachthofes

Der moderne Bau kostete 597.000 Mark und enthielt unter anderem eine große Schlachtehalle, ein großes Kühlhaus mit 110 Kühlzellen und modernste technische Anlagen. Der Standort war gut gewählt: unmittelbar am Gubener Neißehafen gelegen und mit Bahn-Anschlussgleis zum nahen lokalen Güterbahnhof.

VEB Fischverarbeitung Guben 001

Mitte der 1920er Jahre wurden hier pro Jahr 3.000 Rinder, 16.000 Schweine, 6.000 Kälber, jeweils 1.000 Schafe und Ziegen sowie 200 Pferde geschlachtet. Beliefert wurden mehr als 100 Fleischereien. Dabei war der Personalbestand des Schlachthofes mit 18 Arbeitern und 2 Tierärzten sehr überschaubar. Die Tierärzte wohnten in den oberen Etagen des Verwaltungsgebäudes; in der unteren Etage befand sich der Trichinenschau-Raum.

VEB Fischverarbeitung Guben 015

Die Gebäude des Schlachthofes überstanden den zweiten Weltkrieg unbeschädigt und konnten noch bis 1957 weiter genutzt werden, wenn auch auf einem deutlich geringerem Niveau als vor 1945. Unmittelbar nach Kriegsende konnten nur noch 10 Fleischereien beliefert werden.  Ab 1957 bekam die Bevölkerung Gubens ihr Fleisch aus dem Schlachthof in Forst / Lausitz. Der Gubener Schlachthof war nach 60 Jahren und zwei Weltkriegen technisch veraltet und verschlissen. Der Schlachthof wurde umgebaut und nun als Fischverarbeitungsfabrik genutzt. Als VEB Fischverarbeitung Guben gehörte der Betrieb zum VEB Fischkombinat Rostock.

VEB Fischverarbeitung Guben 016

Zunächst wurde in reiner Handarbeit Seefisch zerkleinert, Räucherfisch produziert und Marinaden hergestellt. Die Mengen waren mit 500 bis 1.000 Kilogramm pro Tag zunächst eher bescheiden. Im Laufe der nächsten Jahre wurde viel in moderne Technik investiert und in die Ausbildung von Arbeitskräften; die Sozialräume wurden modernisiert; ein Betriebskindergarten wurde eingerichtet. So konnte eine Stammbelegschaft von ca. 80 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aufgebaut und gehalten werden. Ende der 1980er Jahre betrug die tägliche Verarbeitungskapazität 20.000 Kilogramm (!).

Die politische Wende in der DDR 1989 / 1990 überlebte die Gubener Fischfabrik nur kurz. Die neu gegründete Gubener Fisch – und Feinkost GmbH schaffte es nur bis zum 28. Februar 1993. Seit dem steht das Gelände leer und verfällt.

Quellen:

„Guben. Fischkonserven aus dem Schlachthof“ in: Der Märkische Bote, 21. März 2014 (online)

SLUB / Deutsche Fotothek

[Hrsg.] Stein, Erwin „Monographien deutscher Städte“, Band XXV Guben, Berlin, 1928

Guben – Nordbrücke

Die Brücke mit den drei Namen. Erbaut wurde sie 1904 zunächst als reine Holzkonstruktion in nur acht Wochen! Als Fußgängerbrücke sollte sie den Bewohnern der Gubener Stadtteile Nordstadt und Bergstadt den Weg zum Bahnhof und zur Arbeit in den westlich der Neiße ansässigen Industriebetrieben verkürzen. Einen positiven Effekt hatte die Brücke auch für die zahlreichen Ausflügler und Touristen, die jedes Jahr zahlreich zur Apfelbaumblüte in die Gubener Berge strömten, die zudem ein beliebtes Ausflugsziel waren. Der Weg vom Bahnhof in die ehemaligen Weinberge war nun deutlich kürzer und konnte auch gut zu Fuß bewältigt werden.

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Weil am Westufer der Brücke – unweit des Neiße-Hafens – hier seit 1892 der städtische Schlachthof seinen Sitz hatte, wurde die Brücke auch Schlachthofbrücke genannt.

Guben - Nordbrücke 007

Guben – Nordbrücke – Westufer mit Resten des städtischen Schlachthofes

Der dritte Name für diese Brücke war Parkbrücke. Nordöstlich der Stadt war nur wenige Wochen vor Eröffnung der Brücke der Koenigspark als öffentliches Erholungsgebiet für die Gubener Bürger fertig gestellt geworden.  Der Druckereibesitzer Albert Koenig hatte diesen Park der Allgemeinheit gestiftet. Um den Weg dorthin zu verkürzen, sollte eine Brücke über die Neiße gebaut werden. Da die Stadt Guben dafür kein Geld hatte, gründete sich ein Bürgerkomitee, das Spendengelder für den Bau der Brücke einwarb. Der Gubener Zimmermeister Karl Tilgner konnte für den Bau der Brücke gewonnen werden. Gleichzeitig verpflichtetet sich Karl Tilgner für die nächsten 10 Jahre für den laufenden Unterhalt der Brücke aufzukommen und auf eigene Kosten für Reparaturen an der Brücke zu sorgen.  Bald stellte sich heraus, dass das Spendenaufkommen nicht hoch genug war, um den Zimmermeister zu bezahlen. Das änderte sich auch bis 1912 nicht. Schließlich übernahm die Stadt doch die Kosten.

Im Frühjahr 1924 beschädigte starker Eisgang die Holzbrücke so stark, dass sie gesperrt werden musste. Eine Reparatur kam nicht in Frage, so dass im Winter 1924/1925 die Holzbrücke einer Betonkonstruktion weichen musste. Nun vollständig städtisch finanziert, wurde die neue Brücke gleich so breit gebaut, dass auf ihr auch Busse fahren konnten. Ein Gewinn für alle. Schon im Mai 1925 wurde sie offiziell als Nordbrücke eröffnet.

Mit neun Metern Breite und einer Spannweite von 90 Metern, getragen von 3 Betonbögen, war sie die längste Brücke der Stadt. Über den Betonbögen befanden sich Balkonnischen für die Fußgänger, von denen man einen schönen Blick entlang des Neißetals hatte.

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Am Ostende der Brücke befand sich ein kleines turmartiges Gebäude, das als Knusperhäuschen bekannt war. Es beherbergte ein beliebtes Kaffee- und Lebensmittelgeschäft. Im Sommer standen hier Tische auf der Straße und teilweise bis ans Neiße-Ufer. Ein kleines Highlight städtischen Lebens.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges – im April 1945 – wurde die Nordbrücke (wie alle Gubener Brücken) von der Deutschen Wehrmacht gesprengt. Sie wurde danach auch nicht wieder aufgebaut – der größte Teil der Stadt Guben gehörte nun zu Polen.

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Quellen:

Peter, Andreas „Brücke mit drei Namen“; Informationstafel vor Ort

Roy, S. „Die ehemalige Nordbrücke in Guben“, in: Der Märkische Bote, 21.Juli 2023 (0nline)

Guben – Villa Lehmann

Guben – die Perle der Niederlausitz. Die Stadt liegt landschaftlich schön, eingebettet in das kleine Neiße-Tal mit seinen Weinbergen. Mit den Städten Forst und Spremberg bildete Guben einst das Zentrum der niederlausitzer Textilindustrie. Die Gubener Tuchfabriken Lehmann & Richter sowie Carl Lehmans Witwe & Sohn befanden sich unmittelbar an der Neiße im industriellen Herzen der Stadt. Die Familie Lehmann mit ihren Textilfabriken war der größte Arbeitgeber der Stadt. Das sollte sich auch in einem standesgemäßen Wohnsitz widerspiegeln. 1901 wurde der Familienwohnsitz in der Alten Poststraße 63, direkt gegenüber der Fabrik Carl Lehmans Witwe & Sohn, errichtet. Auf dieser Seite der Straße reihte sich eine Fabrikantenvilla an die andere – da musste man schon auffallen.

Guben - Villa Lehmann 001

1915 fanden schon die ersten Erweiterungsarbeiten statt. Während die Straßenseite der Villa Lehman recht prunkvoll daher kommt, ist die Südseite recht schlicht gehalten.

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Von außen blieben noch recht viele der üppig verwendeten Stuckelemente erhalten. Diese sind auch an der Mauer zu erkennen, die die straßenseitige Einfriedung bildet. Das kleine Rundbogentor bildete den Hauptzugang, bewacht von zwei Ochsenaugen links und rechts vom Tor.

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Die mannshohe Mauer schließt an der Nordseite mit einem zweiflügeligen eisernen Tor ab – vermutlich die Wirtschaftszufahrt.

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Im hinteren Teil des Grundstücks befanden sich ein Wintergarten, eine große Terrasse mit Freitreppe sowie ein begehbares Flachdach.

Das Innere des Gebäudes ist mit seinem Parkettfußboden, mit den Stuckdecken und verzierten Treppen, Wandbrunnen und Kaminen noch zum großen Teil erhalten, jedoch (leider) nicht begehbar bzw. nicht zu besichtigen.

1948 wurde die Tuchfabrik Carl Lehmans Witwe & Sohn verstaatlicht und als VEB Gubener Wolle (Werk I) weiter betrieben. Lehmann & Richter existierte noch bis 1953 als eigenständiges Unternehmen – bis die Firmeninhaber wegen angeblicher Wirtschaftsvergehen 1952 angeklagt wurden, jedoch rechtzeitig „in den Westen“ fliehen konnten.

Lehmann & Richter wurde enteignet und als Werk IV dem VEB Gubener Wolle angegliedert. Der Wohnsitz der Familie Lehmann wurde vermutlich in diesem Zusammenhang ebenfalls enteignet und zu einem Betriebskindergarten des VEB Gubener Wolle umgestaltet und in dieser Funktion bis 1990 genutzt.

Danach zog hier die AOK mit einem Verwaltungssitz ein. Das Gebäude erlebte noch das Ende der Gubener Textilindustrie im Jahre 1994; viel später zog auch die AOK aus und das denkmalgeschützte Gebäude steht inzwischen leer.

Quellen:

[Hrsg.] Stadt Guben, Denkmalobjekte der Stadt Guben, Internetpräsenz guben minus gubin Punkt eu

Roy, S. „Historisches Guben: Die Tuchfabrik Lehmann & Richter“, in: Der Märkische Bote“, 23.12.2022 (online)