Wismar – Karower – Eisenbahn

Ende de 19. Jahrhunderts waren vor allem die großen Städte Mecklenburgs an das Eisenbahnnetz und somit an die große, weite Welt angeschlossen. In einer Zeit, in der Transporte bislang nur per Pferdefuhrwerk, Handkarren oder zu Fuß erfolgten, war ein dichtes Eisenbahnnetz der Wirtschaftsmotor schlechthin. Um vom Verkehr und den Warenströmen nicht abgehängt zu sein, forderten vor allem die kleineren Städte abseits der Eisenbahn-Hauptstrecken endlich den Anschluss an die Eisenbahn – sie war das modernste und schnellste Transportmittel! Was die staatlichen Eisenbahngesellschaften nicht übernehmen konnten oder wollten, wurde privaten Gesellschaften überlassen. So auch hier: die private Wismar-Karower-Eisenbahn-Aktiengesellschaft mit Sitz in Wismar wurde zunächst maßgeblich von den Städten Wismar, Güstrow, Warin, Brüel und Sternberg finanziert. Das Stammkapital der Aktiengesellschaft betrug anfänglich 2.770.000 Mark. Der Betrieb der Bahn wurde bis zum 01. Januar 1890 durch den Betriebspächter F. Lenz in Stettin(1) durchgeführt – dies ist insoweit bemerkenswert, da Deutschlands zukünftiger größter Klein- und Nebenbahnbetreiber, die Lenz & Co GmbH aus Stettin erst 1892 gegründet wurde – vermutlich hatte Herr Lenz schon ernsthafte Schritte unternommen, um im Eisenbahngeschäft Fuß zu fassen (was ihm dann ab 1892 mit dem Bau und Betrieb von Kleinbahnen gelang).

Die staatliche Lizenz zum Bau und Betrieb der Strecke wurde im Dezember 1886 erteilt – nur ein knappes Jahr später, im November 1887, konnte schon die gesamte Strecke in Betrieb genommen werden – eine wahrlich super schnelle Planungs- und Bauzeit!

Strecken- Impression im Bahnhof Karow

Für ein kurzes Stück der Strecke von Hornstorf nach Wismar wurden die Gleise der Wismar-Rostocker-Eisenbahngesellschaft mitbenutzt, wofür eine jährliche Pacht zu zahlen war.

Zunächst waren auf der Strecke insgesamt vier Dampflokomotiven vom Typ T 3, sechs Personenwagen und 81 Güterwagen im Einsatz. Im ersten vollen Betriebsjahr wurden ganz genau 124.137 Personen befördert sowie 40.350 Tonnen Güter transportiert. (Das Ausmaß der statistischen Erfassung zur damaligen Zeit überrascht!). Der mit Personenbeförderung erzielte Umsatz belief sich im ersten Geschäftsjahr auf beachtliche 84.558 Mark, für den Fracht- und Güterverkehr auf 74.131 Mark. Somit konnten sämtliche Betriebsausgaben und Ausgaben für den Streckenerhalt in Höhe von 156.022 Mark ohne Zuschüsse gedeckt werden – man schrieb sozusagen „eine schwarze Null“ bei einem leichten Gewinn von 10.427 Mark.

Die Strecke hat immer nur lokale Bedeutung gehabt – sie verband vor allem die Kleinstädte Neukloster, Warin, Brüel, Sternberg und Goldberg miteinander, was den regionalen Warenaustausch förderte und vereinfachte.

Schon 1890 begann die Verstaatlichung dieser Privatbahn – ein Schicksal, das letztlich alle privaten Eisenbahnen in Mecklenburg betraf. Am 01. Januar 1890 trat das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin in Form der Großherzoglichen Generaleisenbahndirektion in den Pachtvertrag ein – der ursprüngliche Pächter, Herr Lenz aus Stettin, wurde ausbezahlt. Am 01. April 1897 übernahm die Großherzogliche Generaleisenbahndirektion die gesamte Eisenbahngesellschaft aufgrund der Verordnung vom 11. Januar 1897(2) – sämtliche Aktien gingen an das Land Mecklenburg-Schwerin über. Der gesamte Eisenbahnverkehr des Landes wurde nun von der Großherzoglich Mecklenburgischen Friedrich Franz Eisenbahn durchgeführt.

Ab dem 01. April 1920 gingen alle Länderbahnen (so auch die Wismar-Karower-Eisenbahn) in den Besitz der neu gegründeten Deutschen Reichseisenbahn über, die ab 1921 nur noch Deutsche Reichsbahn hieß.

Die Verkehrshalte Neumühler Forst (zur Holzverladung) und Zidderich schienen erst nach 1916 in Betrieb genommen worden zu sein – bis dahin tauchen sie in den offiziellen Streckenbeschreibungen(2) nicht auf. Der Verkehrshalt Damerower Forst wurde mit Beginn der militärischen Nutzung des Geländes in Betrieb genommen (möglicherweise erst um 1960).

Den zweite Weltkrieg überstand die Strecke überraschend unbeschadet und blieb auch von Demontagen verschont. Vor allem in der Zeit nach 1945 galt sie als die landschaftlich schönste Bahnstrecke Mecklenburgs; sie hatte jedoch immer nur regionale Bedeutung.

Fahrplan aus dem Kursbuch von 1951

Großer Beförderungsbedarf scheint auf der Gesamtstrecke in der Nachkriegszeit nicht bestanden zu haben. Der Fahrplan weist für das 1951 nur zwei durchgehende tägliche Zugpaare aus. Interessant ist der Vermerk, dass die Züge auch den Haltepunkt Zidderich bedienen, obwohl dieser in der Liste der Unterwegshalte gar nicht mehr auftaucht.

Der Haltepunkt am NVA-Depot Damerower Forst scheint demnach auch erst nach 1951 eingerichtet worden zu sein.

Am 01. Juni 1996 endete der Personenverkehr auf der Strecke von Sternberg nach Karow; nur zwei Jahre später, am 28.Mai 1998 verkehrte der letzte Personenzug auf der Strecke von Sternberg nach Wismar. Am 29. Oktober 1998 wurde formell und eisenbahnrechtlich akkurat die Strecke zwischen Hornstorf und Blankenberg stillgelegt und nach und nach zurückgebaut. Bis zum Jahr 2000 erfolgte noch einiger Güterverkehr von Blankenberg und Karow aus zu den von der Bundeswehr übernommen ehemaligen NVA-Standorten in Dabel und in Damerow. Der Verkehr nach Dabel wurde am 17.Oktober 2000 stillgelegt (die Bundeswehr hatte den Standort in Dabel aufgegeben); am 12. August 2003 wurde das letzte kleine Teilstück von Karow nach Damerow Forst (ehemaliges NVA Depot in Bundeswehr-Nachnutzung) stillgelegt – auch hier war die Bundeswehr ausgezogen und es gab keinerlei Bedarf mehr an Transportleistungen.

Heute kann man ein Teilstück der ehemaligen Eisenbahnstrecke per Draisine erkunden – vom ehemaligen Militärdepot Damerower Forst bis nach Borkow blieb zumindest das Gleis erhalten.

Damerower Forst – heute Ausgangspunkt für Draisinenfahrten auf der alten Strecke bis nach Borkow

Seit 2007 findet auf dem Mittelstück der Strecke von Blankenberg bis Dabel wieder regelmäßiger Güterverkehr statt, hauptsächlich für den Transport von Biodiesel aus Sternberg und Düngemitteln aus Dabel. Von Blankenbenberg aus besteht bahntechnischer Anschluss an die Strecke Rostock-Schwerin-Hamburg.

Der Streckenverlauf (abweichend von der offiziellen Zählweise nach (2))

km 0,0 Wismar

km 5,4 Hornstorf

km 8,9 Warksdorf

km 10,9 Neukloster

km 18,2 Neumühler Forst

km 28,5 Warin

km 27,8 Blankenberg

km 30,9 Brüel

km 34,7 Weitendorf bei Brüel

km 39,1 Sternberg

km 45,9 Dabel

km 49,5 Borkow

km 56,2 Below

km 56,9 Zidderich

km 62,6 Goldberg (Meckl.)

km 66,0 Wendisch Waren

km 71,2 Damerow

km 74,7 Damerower Forst

km 76,8 Karow (Meckl.)

Quellen:

(1) „Statistische Nachrichten von den Eisenbahnen des Vereins Deutscher – Eisenbahnverwaltungen für das Rechnungsjahr 1888“, XXXIX. Jahrgang, Berlin 1890 (1)

(2) „Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinscher Staatskalender“, herausgegeben vom Großherzoglichen Statistischem Amt, Schwerin, 1916

Kursbuch der Deutschen Reichsbahn für das Jahr 1951 („Amtliches Kursbuch. Deutsche Demokratische Republik. Sommerfahrplan gültig vom 20.Mai bis 06. Oktober 1951.Deutsche Reichsbahn / Kursbuchstelle der Reichsbahndirektion“)

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