Ribnitz-Damgarten – Boddenwerft

Auch auf dem ehemaligen deutschen Seefliegerhorst Pütnitz, der zur Stadt Damgarten gehörte, begannen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Demontagearbeiten zum Zwecke der Reparationszahlung. Warum diese nur schleppend durchgeführt wurden (es wurden nur zwei Flugzeughallen demontiert) und 1948 ganz gestoppt wurden, darüber kann man nur spekulieren. Möglicherweise war hier nicht so viel an Wert für die Siegermacht Sowjetunion herauszuholen und man entschied etwas anderes:

Auf dem Gelände sollte eine Werft eingerichtet werden, und deren Produktion sollte zum großen Teil als Reparationsleistung genutzt werden. Grundlage dafür war der Befehl 103, der am 7. Juni 1948 durch den Obersten Chef der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) unterschrieben wurde. Er sah den Aufbau von Werften in Stralsund, Wolgast und Damgarten vor. So entstand unter der Verwaltung der Volkseigenen Weften der VVW Boddenwerft Damgarten VEB.

Schon am 7. Juli 1948 wurde mit dem Umbau der ersten Kasernen zu Unterkünften begonnen. Am 10. Juli wurde unter großen Schwierigkeiten der Umbau der ehemaligen Flugzeughallen in Angriff genommen. Am 15. August 1948 begann die Errichtung der Slip-Anlage und am 15. September 1948 wurde der erste Kutter auf Kiel gelegt.

Mit dem Stand 24. November 1948 war die Belegschaftsstärke auf 693 Mitarbeiter angewachsen. Ende 1949 waren es 2200, darin enthalten sind auch die Bauleitung, die Sozialabteilung mit Landwirtschaft, Küche, Lehrlingen usw.

Die Kutter wurden arbeitsteilig gebaut. In der Halle 1 wurden alle benötigten Eisenteile, wie Nägel, Bolzen und Laschen, hergestellt – nach dem Krieg gab es Werkzeuge und Arbeitsmaterialien nicht zu kaufen und mussten selber hergestellt werden.

In der Halle 2 befanden sich die Maschinen für die Fertigung der hölzernen Decksaufbauten, Planken, Spanten und für die anderen hölzernen Schiffsteile.

In der Halle 3 wurden die Schiffskörper im Taktverfahren montiert. Dort standen bis zu 15 Schiffsrümpfe gleichzeitig.

Bis September 1950 entstanden auf der Damgartener Boddenwerft neben einigen 12-Meter-Kuttern insgesamt 100 Kutter mit einer Länge von 17 Metern. Im März 1950 wurde der erste 24-Meter-Kutter auf Kiel gelegt. Von Kuttern dieses Typs verließen 35 die Werft. Der größte Teil davon ging als Reparationsleistung in die Sowjetunion, ein kleiner Teil an das Fischkombinat Saßnitz.

Der letzte 24-Meter-Kutter verließ am 29. Dezember 1951 die Bodden-Werft.

Für alle Deutschen kam das plötzliche Aus für den Werftbetrieb zum 31.12.1951 völlig überraschend – die russischen Besatzer hatten beschlossen, das gesamte Gelände des ehemaligen deutschen See- und Landfliegerhorstes Pütnitz in Besitz zu nehmen und als Aerodrom Damgarten weiter zu nutzen. Man könnte meinen, „die Russen“ haben abgewartet, bis die nötigen Arbeiten an der Infrastruktur durch die Deutschen beendet waren – die Russen nahmen auf dem Gelände eine technischer Infrastruktur im Wert von 7.888.377 Mark der DDR in Besitz, darunter:

  • 5 in Stand gesetzten Flugzeughallen
  • Slipanlage
  • Kesselhaus und Heizhaus
  • Wasserwerk und Abwasserhebewerk
  • in Stand gesetztes Feuerwehrgebäude
  • mit Warmluft beheizte Trockenkammern
  • Verzinkerei
  • Lagergebäude
  • Wachgebäude
  • Garagengebäude
  • Elektro-Werkstatt nebst Akkumulatorenladestation
  • eingerichtete Schmiede
  • in Stand gesetzte alte Telefonzentrale (in einem Klein-Bunker)
  • im ehemaligen Kasernen- und Unterkunftsbereich: Lehrlingswohnheim, Klubhaus, Turnhalle, Berufsschule, Kindergarten, Parteischule, Wohnhäuser
  • zur Eigenversorgung: Kleintierställe, landwirtschaftliche Gehöfte, Treibhäuser

So endete die Geschichte der Damgartener Boddenwerft plötzlich, überraschend und eher unrühmlich für die russischen Besatzer.

Bis 1965 erinnerte noch der Haltepunkt Boddenwerft der Franzburger Kreisbahnen (ab 1940 Franzburger Bahnen Nord), die unmittelbar am östlichen Rand des ehemaligen Flugplatzgeländes vorbei von Barth nach Damgarten führten, an die großartige Leistungen derjenigen, die hier kurz nach dem Krieg „aus dem Nichts“ eine florierende Werft aus dem Boden gestampft haben.

Heute erinnert nur eine Tafel in einer der ehemaligen Schiffbauhallen, die von einem Technik-Verein genutzt wird, an die Boddenwerft.

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Quellen:
Sternkiker, Edwin „Kutterbau im Taktverfahren“, Ostsee-Zeitung, 04.06.2018
Sternkiker, Edwin „Boddenwerft hatte einen Restbuchwert von 7 888 377 Mark“, Ostsee-Zeitung, 16.07.2014

2 Gedanken zu „Ribnitz-Damgarten – Boddenwerft

  1. Hallo Frank,
    Spannende Geschichte! Ich habe mich immer gefragt, wovon Deutschland nach dem Krieg überhaupt Reparationsleistungen erbrachte, wir wurden ja auch platt gemacht und hatten erstmal nichts. Interessante Fakten hast Du zusammen getragen! VG

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    • Hallo Frauke – diesen spannenden Ort vor dem Vergessen zu bewahren finde ich sehr wichtig. Mir selbst war die Geschichte der Boddenwerft lange unbekannt!
      Wenn man sich mit den Reparationszahlungen an die Sowjetunion beschäftigt, wird es einem schlecht – dieses Thema begegnet einem ja bei industriellen lost places leider immer wieder…das gesamte ostdeutsche Eisenbahnnetz wurde z,B. durch Demontagen auf einen Stand kurz nach der Jahrhundertwende zurückgeworfen; ganze Gegenden wurden deindustrialisiert… mit Folgen, die teilweise heute noch zu sehen sind.

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