AFüSt MfS BV Schwerin – Waldschlößchenbunker Crivitz

Zwischen 1970 und 1972 fanden im Wald westlich von Crivitz im Geheimen Bauarbeiten statt. Von außenstehenden unbemerkt wurde hier eine große Bunkeranlage als Ausweichführungsstelle für die Stasi-Bezirksverwaltung Schwerin errichtet. Der Bunkerzugang befand sich unter einer Lagerbaracke. Durch weitere oberirdische Bauten sowie die Anlage eines Schießplatzes schöpfte niemand Verdacht, was hier tatsächlich errichtet wurde. Legendiert war das Ganze als „Ausbildungszentrum Waldschlößchen“. Das „Waldschlößchen“ war früher ein beliebtes Ausflugslokal an der Hauptstraße.

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An der Zufahrt zum Gelände steht ein auch heute noch stark gesichertes Gebäude – ob dies Teil des Objektschutzes war oder Teil des dahinterliegenden ehemaligen Schießgeländes, ist derzeit nicht bekannt.

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Zutritt zum Gelände hatte hier niemand; der Wald war Sperrgebiet und durch eine Doppelzaunanlage gesichert.

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Von der Zaunanlage blieben einige Betonpfosten im Wald übrig.

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Für den Bunkerbau wurden Betonfertigelemente verwendet, was eine schnelle Bauzeit sicherte. Errichtet wurde hier das (für diese Bunker) typische Wiederverwendungsprojekt  1/15 V2 in der Ausführungsvariante b – also zwei baugleiche Bunker, gespiegelt aneinander gebaut.

Lageplan mit Legende

Die gesamte Fläche des Bunkers beträgt etwa 1.365 Quadratmeter, wovon jedoch nur etwa 870 Quadratmeter tatsächlich frei nutzbare Fläche im hermetisch abgeriegelten Bereich war. Den Rest der Fläche belegten Technik, Schleusen und sanitäre Anlagen. Von einem Hauptgang zweigten nach links bzw. nach rechts symmetrisch angeordnet jeweils zehn Gänge mit einer Länge von ca. 14 Metern und einer Breite von etwa 2 Metern ab. Diese bildeten verschiedene Arbeitsbereiche. Die letzten (etwas kürzeren Querröhren) am Ende des Ganges enthielten die sanitären Anlagen.

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Blick in einen Querstollen – natürlich komplett ausgeräumt.

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Etwas mehr Platz gab es im sogenannten Führungsraum – hier waren zwei an einander liegende Quergänge in der Mitte offen.

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Der Zugang zum Bunker war über zwei Zugänge von der oberirdischen Tarnbaracke aus möglich. Im Inneren waren diese durch einen Quergang verbunden.

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In den hermetischen Bereich gelangte man durch ein Schleusensystem (für jeden Zugang eines). Für Zwecke der Dekontamination war ein Zugang speziell vorbereitet. Die Dekontamination hatte schon im Treppenhaus zu beginnen. Auf einem speziell vorbereiteten Podest der Treppe mit eingebautem Abfluss hatte die Entgiftung der persönlichen Schutzausrüstung und Kleidung zu erfolgen.

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Der Wasseranschluss und die installierte Dusche sind natürlich längst verschwunden, ebenfalls das Bodengitter.

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Dazu befanden sich in Wandregalen über dem Podest in Plastikfläschchen abgefüllte Chemikalien zur Herstellung der Dekontaminationsflüssigkeit, Bürsten und Pinsel. Über einen Wasseranschluss konnte eine Dusche angeschlossen werden. Dekontaminierte Schutzausrüstung und Bekleidung sollte in verschließbaren Plastiktüten und Eimern entsorgt werden.

Weitere Dekontamination erfolgte dann in der Vorschleuse.

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Von der Vorschleuse gelangte man dann durch die Hauptschleuse in den sogenannten „sauberen Bereich“ in das Schutzbauwerk.

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Die Wasserversorgung konnte über einen im Bunker liegenden Tiefbrunnen gesichert werden; zusätzlich befanden sich in einem Wassertank  3.000 Liter Trinkwasser als Reserve.

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Warmes Wasser wurde über einen großen Boiler, der 300 Liter fasste, bereit gestellt. Zur Gewährleistung eines gleichmäßigen Wasserdrucks in den Leitungen war auch eine Hydrophoranlage installiert.

Als Notstromaggregate standen 4 Dieselgeneratoren mit jeweils 36 kW Nennleistung zur Verfügung. Der Dieselvorrat im Inneren des Bunkers betrug etwa 5.000 Liter in zwei speziellen Tanks. Heute blickt man nur in eine völlig ausgeräumte Kammer.

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Die Luftfilteranlagen nebst Frischluft-Ansauganlage, Grobsand- und Kiesfilter sowie der Filteranlagen befand sich an den seitlichen Außenwänden des Schutzbauwerkes.

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Die Lüftungsanlage mit Haupt- und Reservelüfter – war zweimal vorhanden – jede Bauwerkshälfte konnte auch separat belüftet werden.

Der Bunker besaß zwei Notausgänge an den äußeren Ecken.

Oberirdisch sahen die Notausgänge eher unscheinbar aus und besaßen keine Tarnaufbauten.

Ein MfS-eigener Wartungs- und Instandhaltungsdienst (WID) sorgte für die Betriebsbereitschaft der gesamten Anlage.

Zur Sicherstellung der Nachrichtenverbindungen befand sich unweit des Waldschößchen – Komplexes eine abgesetzte Sendestelle.

Auf dem Gelände befanden sich weitere oberirdische Gebäude:

  • ein Mehrzweckhaus mit Versammlungsräumen mit ausgebautem, teilgeschützem Keller und Dachgeschoss, je Etage etwa  325 Quadratmeter (wahrscheinlich tatsächlich genutzt als Schulungszentrum); in einem Raum befand sich eine kleine Nebenstellen-Telefonanlage Typ Rena-67
  • ein Wohnhaus mit verglastem Verandavorbau und ca. 216 Quadratmeter Grundfläche; im Keller befanden sich ein Bar, Sauna, Tauchbecken und Fitnessraum

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  • eine unterkellerte Kabeldruckstation (für die Überwachung von speziellen mit Druckluft gesicherten Nachrichtenkabeln)

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  • ein kleiner Garagenkomplex mit Hundezwinger
  • ein Tanklager mit einer Leichtbaukonstruktion als Überdachung zum Wetterschutz eines mobilen Tankcontainers

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  • eine große zweiteilige Lagerhalle in Stahlbetonstützenbauweise mit Wellasbestdach, Grundfläche ca. 2.900Quadratmeter je Lagerhalle (im Inneren der Lagerhalle befanden sich die Zugänge zum Schutzbauwerk); an einer Seite der Lagerhalle wurde 1980 ein zweigeschossiger Anbau errichtet, der im Erdgeschoss eine Werkstatt, Sanitärräume, eine kleine Küche und Speiseräume enthielt; im Keller befand sich ein kleiner Gaststättenraum mit kleiner Bar; im Obergeschoß befanden sich Büro – und Konferenzräume

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  • ein Löschwasserteich mit Löschwasserpumpstation

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  • eine Schießplatzanlage

Turbulent waren die letzten Tage des Bunkers in der Zeit der politischen Wende der DDR. Da niemand wusste, worum es sich bei diesem Gelände handelte, kochte die Gerüchteküche heftig. Stein des Anstoßes für den Volkszorn waren Schießübungen, die noch im Januar 1990 durchgeführt wurden. Die Schüsse waren im Wald gut zu hören. Die damalige Regierung der DDR unter Hans Modrow hatte schon am 14. Dezember 1989 beschlossen, den Geheimdienst – das Amt für Nationale Sicherheit, wie die Stasi nun hieß – aufzulösen. Engagierte und mutige Bürger der Crivitzer Bürgerinitiative zogen am 13. Januar 1990 vor das Gelände und bildeten eine Mahnwache vor dem Haupttor. Bis zu 500 mutige Menschen belagerten so das Stasi – Gelände und forderten eine transparente Übergabe. Bewaffnete Posten und scharfe, bellende Hunde auf der einen Seite des Zaunes, die protestierende Menschenmenge auf der anderen Seite des Zaunes. Provokative Rufe schallten: „Wir wollen rein!“ und „Hängt sie auf!“. Wie leicht hätte die Lage eskalieren können. Zwei Tage später – vor allem auch um deeskalierend zu wirken – wendet sich die Bürgerinitiative mit einem Telegramm direkt an Hans Modrow. An einem Sonntag! Darin heißt es:

Wir sind empört, dass bei einem dieser Großobjekte Schießstand beim Waldschlößchen bis heute der Stasi / Nasi die Befehlsgewalt innehat und offenbar noch Schießübungen durchführt. Wir verlangen sofortige Beendigung der Tätigkeit des Amtes für Nationale Sicherheit (Nasi) und demokratisch nachprüfbare Übergabe an glaubwürdige Einrichtungen.

Das Telegramm hat Wirkung. Schon am nächsten Tag (15. Januar 1990) reisen Offiziere der NVA in Begleitung des Militärstaatsanwaltes an. Das Objekt soll an die NVA übergeben werden. Der leitende NVA- Offizier (Oberst Schröder, Stabschef der 8. Motorisierten Schützendivision) behält einen klaren Kopf und verhandelt mit beiden Seiten. Auch NVA-Offiziere hatte üblicherweise keinen Zugang zu Objekten des Geheimdienstes. Schließlich gelingt das Unglaubliche, die Stasi-Angehörigen öffnen zähneknirschend, aber schweigend, die Türen. Eine Delegation der Bürgerinitiative unter Begleitung der Militärstaatsanwaltschaft darf das Gelände besichtigen Jedoch wurde auch hier nicht mit offenen Karten gespielt. Der Bunker wird noch nicht entdeckt. Dies geschieht erst bei einer weiteren Begehung, Tage später.  Als konspiratives Objekt hat er damit seine Funktion verloren. Der Prozess der Übergabe des Geländes an die NVA zog sich noch über 4 Wochen hin – geheime Technik und Dokumente waren zu diesem Zeitpunkt entweder schon verschwunden oder wurden vernichtet. Die Nachrichtenverbindungen im Bunker wurden gekappt (Durchtrennung sämtlicher Kabel an der Kabeleinführung).

Der Bunker war nun nutzlos. Die NVA hatte keine Verwendung dafür, ebenso wenig die Bundeswehr. Bewegliches Inventar aus den Gebäuden wurde schon im Sommer 1990 meistbietend versteigert. Das Land Mecklenburg  Vorpommern übernahm das Gelände und vermietete einige Gebäude und Hallen zur gewerblichen Nutzung. Irgendwann stand das Gelände dann völlig leer, so dass es im Jahr 2015 an den NABU verkauft wurde. Im Jahr 2023 wurden sämtliche oberirdische Bauten des Geländes abgerissen, der Bunker zu einem Fledermausquartier umgestaltet und verschlossen.

Am Zugangstor zum Gelände erinnert eine kleine Tafel an die Geschichte dieses Ortes.

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Quellen

[Hrsg.] NABU Regionalverband Parchim „Vom Stasibunker zum Fledermaus- Winterquartier“; Informationstafel vor Ort, 2023

Balzer, Thomas / Stippekohl, Siv „Atlas des Aufbruchs. Geschichten aus 25 Jahren Mecklenburg – Vorpommern“, Berlin, 2015

BStU, MfS, BV Schwerin, Arbeitsgruppe des Leiters (AGL), Einleitung

BStU, MfS, Arbeitsgruppe des Ministers, Nr. 116, Blatt 13-20  „Instruktion zur Sicherstellung von Maßnahmen der Spezialbehandlung in Ausweichführungsstellen“; Geheime Verschlußsache, MfS 005, Nr. 476/76

BStU, MfS, Liegenschaften, Nr. 2624 , Blatt 25-80 „Wertermittlung für das Grundstück „Ausbildungsgelände“ Gädebehn, Crivitzer Chaussee“, Schwerin, 28.08.1990

DFF Deutscher Fernsehfunk „Waldschößchen. Doku über einen wiederentdeckten Atombunker“; DFF-Reihe „Das Fenster“, 1991 (enthält u.a. Zeitzeugen-Aussagen des ehemaligen Leiters der AGL in der BV Schwerin und des Objektverantwortlichen)

Internetpräsenz Faulkater Punkt de

Internetpräsenz Untergrund minus Brandenburg Punkt de

Paskovsky, Rainer / Biewald, Dietrich „Truppenaufklärer in der 8. MSD der NVA der DDR“, Stand: Mai 2009, edition digital 2018

Wunnicke, Christoph „Schild und Schwert der Partei. Brisante Aufklärungsarbeit im Mecklenburger Aufbruch von der ersten Ausgabe an“, in: Mecklenburger Aufbruch, Sonderausgabe (letzte Ausgabe), Juni 1993, Schwerin

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