U – Verlagerungen

Nazi-Deutschland, Ende 1943.

An der Ostfront waren die Schlachten um Stalingrad und die größte Panzerschlacht der bisherigen Geschichte im Kursker Bogen für Nazideutschland verloren; der U-Boot-Krieg im Atlantik hatte sich zugunsten der Alliierten gewendet. US-amerikanische Truppen landen in Italien. Nicht nur Deutschlands Blitzkriegsstrategie war gescheitert. Längst war der Krieg zur ermüdenden Materialschlacht geworden. Es wurde immer offensichtlicher, dass Deutschland die Lufthoheit verloren hatte.

Mit der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde in der Nacht vom 17.08. zum 18.08.1943 durch die britische Royal Air Force („Operation Hydra“) war klar, das auch ein wirksamer Schutz der Rüstungsindustrie auf herkömmlichem Wege nicht machbar war. Obwohl der tatsächliche Schaden in Peenemünde eher gering war – was die Zerstörung der Forschungs- und Produktionsanlagen betraf (bei dem britischen Bomberangriff kamen mehr als 600 Häftlinge in den bombardierten Lagern bei Trassenheide ums Leben!) – begann man eilig, Kopien von Dokumenten und Unterlagen auszulagern. Die bombensichere Verlagerung der V-Waffen-Produktion sollte folgen.

In der Folgezeit wurde ein gigantisches Bauprogramm aufgelegt, das bis kurz vor Kriegsende immer weiter forciert wurde.

Zur Sicherung der Treibstoffversorgung, vor allem für die Deutsche Wehrmacht, wurde im Juni 1944 der geheime Mineralölsicherungsplan verabschiedet, der nach seinem Initiator Edmund Geilenberg als Geilenberg-Programm bezeichnet wurde. Edmund Geilenberg war Generalkommissar für die Sofortmaßnahmen beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, der nach den Bombenangriffen der Alliierten vom Frühjahr 1944 gegen die deutsche Infrastruktur der Mineralöl- und Treibstoffindustrie von Hitler beauftragt wurde, die Treibstoffproduktion sicherzustellen. Sein Plan hatte zwei Säulen: zum einen die synthetische Treibstoffherstellung mit allen (auch den einfachsten) Mitteln sowie die Verlagerung der noch bestehenden Industrieanlagen in bombensichere unterirdische Fabriken. So entstand der Begriff der U-Verlagerung als gebräuchliche Abkürzung für Untertage-Verlagerung. Allein für das Geilenberg-Programm wurden 382 Millionen Reichsmark ausgegeben; davon entfielen 269 Millionen Reichsmark für unterirdische Bauten im Rahmen des Mineralölsicherungsplanes, darunter

  • 85 Millionen Reichsmark für „Schwalbe I“ (Oberrödinghausen)
  • 70 Millionen für „Kuckuck“ und „Meise“ (Niedersachswerfen)
  • 61,5 Millionen für „Dachs I – III“ (Porta Westfalica, Ebensee und Deutsch Brod)

Neben dem Geilenberg-Programm gab es eine Vielzahl von weiteren Programmen, z.B. das Jägerprogramm zur unterirdischen Fertigung des Jagdflugzeuges Messerschmidt Me 262 oder das Kessler-Programm zur Sicherung der Kugellager-Produktion.

Der Begriff U-Verlagerung bezeichnet demnach Objekte, in die im zweiten Weltkrieg Rüstungsbetriebe und andere Firmen mit militärwirtschaftlicher Wichtigkeit, bombensicher Untertage verlegt wurden bzw. werden sollten.

Die einzelnen Bauvorhaben hatten aus Gründen der Tarnung und Verschleierung Decknamen (sogenannte Tarnnamen). Je nach dem, um welches Vorhaben es sich handelte, musste ein Name aus einer bestimmten Kategorie vergeben werden. Dafür wurde folgendes Schema verwendet:

Gruppe 1 – U-Verlagerungen im Bergbau: Für Schachtanlagen wurden als Tarnnamen Tiernamen (z.B. Dachs, Eber, Labrador, Löwe, Maultier) verwendet.

Für Stollenanlagen wurden Fischnamen und Reptiliennamen (z.B. Forelle, Hecht, Lachs) als Decknamen gebraucht.

Gruppe 2 – U-Verlagerungen in Tunneln: Eisenbahn und Straßentunnel wurden mit Vogelnamen (z.B. Dompfaff, Falke, Meise, Ortolan, Spatz) bezeichnet.

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U-Verlagerung ORTOLAN

Gruppe 3 – U-Verlagerungen in Festungswerken: Als Tarnnamen wurden Bezeichnungen aus dem Pflanzenreich (z.B. Ginster, Schachtelhalm, Walnuss) genommen.

Gruppe 4 – U-Verlagerungen in natürliche Höhlen: Hier wurden numismatische Bezeichnungen verwendet (z.B. Heller, Krone, Taler)

Gruppe 5 – für U-Verlagerungen zu erstellende Neubauten: Für Neubauten von Stollenanlagen wurden Namen aus der Gesteinskunde (z.B. Antimonit, Laterit, Malachit, Zechstein) verwendet.

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U-Verlagerung ZECHSTEIN

Gruppe 6 – Sonderbaumaßnahmen von U-Verlagerungen (Führerhauptquartiere, U-Bootbunker etc.): Hier wurden Vornamen (z.B. Diana, Kilian, Olga, Richard, Rita, Valentin) vergeben.

Weiterhin gab es ein eigenes Bezeichnungsschema für Ölanlagen und chemische Anlagen (vor allem aus dem Geilenberg-Programm):

  • Dachs I – IX: Schmierölanlagen zur Verarbeitung von Rückständen der Erdöldestillation
  • Jakob I: Einfache Destillieranlage in Verbindung mit den Anlage “Ofen V – VIII”
  • Kuckuck I und II: Iso-Octan- und Polymerisationsanlage (Dehydrieranlagen für Flugbenzin)
  • Lack I – IX: Ligroin- oder Lackbenzinanlagen für das Vorhaben “Lack auf Gasbasis”
  • Meise: Katalytische Krackanlagen
  • Molch I – VI: Roh-Bi-Öl bzw. Roh-Di-Öl-Anlagen
  • Ofen I – XLI: Verlagerte Kleindestillieranlagen
  • Rost I – VI: Sammeldestillieranlagen, Umbau von Dampfkesselanlagen in stillgelegten Fabriken
  • Schwalbe I – VIII: Dehydrieranlagen auf Basis von Steinkohlenteer
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U-Verlagerung SCHWALBE 2

  • Taube I und II: Krackanlage zur Verarbeitung von Rohöl oder zum Kracken von Ofenrückständen
  • Wüste I – XV: Anlagen zur Ölschieferverschwelung

Mit einem gigantischem Aufwand wurden die Arbeiten an den einzelnen Anlagen vorangetrieben. Da durch den Krieg kaum ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung standen, wurden Hunderttausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt. Oft unter unmenschlichen Bedingungen. Viele überlebten nicht!

Fertig wurden nur wenige Anlagen. Einige wurden gar nicht erst begonnen.

Nach Kriegsende wurden einige Anlagen nachgenutzt, viele ausgeräumt und verschlossen und sich selbst überlassen. Über einige Anlagen weiß man bis heute nichts oder nur sehr wenig.


Wichtiger Hinweis!

Das Betreten und Befahren – insbesondere der untertätigen Anlagen – ist oft nicht möglich und sogar ausdrücklich verboten. Auf jeden Fall besteht Lebensgefahr!

U-Verlagerungen 03

Die Gefahrenquellen sind vielfältig, insbesondere beim Befahren bergmännisch angelegter (aufgefahrener) Anlagen. Von einem Betreten ist dringend abzuraten – die Dokumentation einiger U-Verlagerungen auf dieser Seite erfolgt hier ausschließlich zum Zwecke der geschichtlichen Dokumentation und darf in keinem Fall als Aufforderung verstanden werden, diese Orte selbst aufzusuchen. Kein Bild ist es wert, dafür sein Leben (oder das der Begleiter und – im Schlimmsten Fall – das Leben der Retter) zu riskieren!


Quellen:

Baranowski, Frank „Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945“, 2. bearbeitetet Auflage, 2015 (als ebook 2016)

Wichert, Hans Walter “Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten des zweiten Weltkrieges”

ehemalige Internetpräsenz 7grad Punkt org (leider nur noch über die way-back-machine einzusehen)

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