Mineralölsicherungsplan – Wüste I (Dußlingen / Nehren)

Untertage-Verlagerungen im engeren Sinne waren die Betriebe mit der Tarnbezeichnung „Wüste“ nicht. Bis auf eine Testanlage waren alle Anlagen des „Unternehmens Wüste“  oberirdische Anlagen. Die Grundidee war, aus mineralischem Öl-Schiefergestein durch verschiedene Verfahren Öl (und daraus dann Benzin) zu destillieren.

Zu diesem Zweck waren bereits zwischen September 1942 und Oktober 1943 in der Schwäbischen Alb verschiedene Versuchsanlagen im Testbetrieb. Der Albtrauf wurde gewählt, weil hier oberflächennah großflächig Ölschiefer lagerte.

Mit zunehmend prekärer werdender Kriegslage (die Ölfelder in Rumänien waren verloren, ebenso die Ölschiefervorkommen in Estland; an das Öl am Kaspischen Meer bei Baku kam man nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad erst gar nicht heran) wurden ab Juli 1944 die Ölgewinnungsanlagen entlang der Schwäbischen Alb aus dem Boden gestampft. Mit einer irrwitzigen Zeitvorgabe: innerhalb von drei Monaten sollten alle Werke produzieren.

Als Produktion-Methode wurde das sogenannte Meilerverfahren gewählt. Im Prinzip wurde klein gebrochener Ölschiefer zu Bergen aufgehäuft, angezündet und mit Erde überdeckt. Durch den so entstehenden Schwelbrand entstanden zum einen ölhaltige Gase und ein Teer-Schwelöl-Gemisch. Die Gase wurden durch ein elektrisches Ionisationsverfahren gereinigt und kondensiert; das Kondensat war sogenanntes Schieferöl, das weiter verarbeitet werden konnte.

Reste der Gasreinigungsanlage standen noch bis zur Erschließung des Wohngebietes „Maltschach / Geigesried“ – Foto: Klaus Franke – Reproduktion von der Informationstafel „Ölschieferwerk“ des Geschichtslehrpfades

Wie verzweifelt die Versorgungslage war, zeigt sich an der geringen Ausbeute des Verfahrens. Aus 96 Tonnen Ölschiefergestein ließ sich etwa 1 Tonne Öl gewinnen. Sämtliche Wüste-Werke sollten im Dauerbetrieb einen jährlichen Output von 15.000 Tonnen Öl bringen – davon war man weit, weit entfernt.

Das Werk I („Wüste I“) entstand am östlichen Rand von Dußlingen bei Tübingen und erstreckte sich über 3 Gemarkungen. Die eigentliche Werksanlage befand sich in der Gemarkung Gomaringen, der Schiefertagebau in der Gemarkung Nehren und die Bahnanschlussgleise, Werkstatt, Lager und Unterkünfte auf Dußlinger Gebiet.

Vorbereitungen für die Baustelle in Dußlingen, die sich etwa 1 km vom Bahnhof entfernt befindet, fanden schon 1943 statt. Möglicherweise sollte hier zunächst einer der Teststandorte entstehen. Darauf deutet auch der tatsächliche Baubeginn hin: Frühsommer 1944 – der eigentliche Beschluss zur Errichtung von zehn Ölgewinnungsanlagen im Rahmen des Mineralölsicherungsplanes wurde erst am 15.Juli 1944 getroffen. Da waren die Bauarbeiten in Dußlingen schon im Gange.

Im September wurde der noch heute existierende Gleisanschluss errichtet. Auftragnehmer war das Eisenbahn- und Tiefbau-Unternehmen C. Krutwig, das auch für den Leistungsbereich „Ölschieferbereitstellung“ verantwortlich war. Das beinhaltet die Erschließung der Ölschieferfelder, den Abbau des Schiefers, das Zerkleinern, den Transport zu den Halden (Meiler-) Plätzen und das Aufschütten der Meiler.

Der Ölschiefer wurde mit Feldbahn-Loren transportiert, für die ein etwa drei Kilometer langes Feldbahngleisnetz errichtet wurde.

Die chemische Aufbereitung der Gase und Flüssigkeiten oblag zunächst der Firma Hoesch; ab Oktober 1944 übernahm dies dann die Deutsche Ölschiefer Forschungsgesellschaft mbH (DÖLF), die seit Juli 1944 die ersten Ölschiefermeiler in einer Testanlage bei Schömberg betrieb.

Alle Wüste – Werke sind nach dem selben Plan errichtet worden, der nur an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden musste.

Für die Errichtung der Werksanlagen waren zunächst 40 Hektar Acker und Wiesenland im Gebiet „Maltschach“ (Gemarkung Dußlingen) und im Gebiet „Geigesried“ (Gemarkung Gomaringen) enteignet worden.

700 Meter südlich der Produktionsanlagen entstand der etwa 1,5 Hektar große Tagebau für den Ölschiefer (Gemarkung Nehren, Bereich „Moosäcker-Höhnisch“). Das gesamte Ölschiefervorkommen in diesem Bereich wurde auf 1,5 Millionen Tonnen geschätzt. Wäre das vorgegebene Produktionsziel von 15.000 Tonnen pro Jahr erreicht worden, wäre das Schiefervorkommen nach etwa einem Jahr erschöpft gewesen…

Anders als bei allen anderen „Wüste“ – Werken kamen in Dußlingen im Wesentlichen keine KZ-Häftlinge zum Einsatz – dafür lagen die eilig errichteten Außenlager zu weit entfernt. Statt dessen wurden italienische Kriegsgefangene für die Arbeiten eingesetzt. Die Baracken der Kriegsgefangenen standen in der heutigen Robert-Wörner-Straße und in der Wilhelm-Härterer-Straße.

Die Gebäude der Raffinerie befanden sich dort, wo heute eine Stahlhandelsfirma den noch existenten Bahnanschluss nutzt. Heute erkennt man nur noch einige steinerne Reste im grünen Dickicht – vermutlich Reste der Produktlagergruben.

Werk und Bahnlinie waren immer wieder das Ziel alliierter Bomberangriffe. Zum Schutz der Arbeiter wurden zwei Luftschutz-Stollen gegraben – heutiger Bereich Kreuzung Buchenstraße / Robert – Wörner – Straße. Die Stollen sind heute zugeschüttet und überbaut.

Das Werk Wüste I wurde bis zum Kriegsende nicht fertig. Nach dem Einmarsch der Franzosen wurden die Arbeiten durch deutsche Kriegsgefangene weiter geführt und vom 15. November bis 17. Dezember 1945 wurden hier 7 Meiler abgeschwelt. Vermutlich wollten die französischen Besatzer die Produktionsverfahren und die Technologie studieren. Die sieben abgeschwelten Meiler ergaben eine Produktionsausbeute von nur 48 Tonnen Öl. Der Ölgehalt des Dußlinger / Nehrener Ölschiefers war der geringste der Schwäbischen Alb – Lagerstätte. Wegen Ineffizienz und Personalmangel wurde der Betrieb dann Ende 1945 eingestellt.

Bis 1948 lag das gesamte Gelände brach. Erst nach der Liquidierung des Vermögens der Deutschen Ölschiefer Forschungsgesellschaft mbH Anfang 1948 begann der Abbau und die Rekultivierung des Geländes.

Das Schieferabbaugebiet wurde verfüllt und wird heute als landwirtschaftliche Fläche genutzt.

Der Standort der Meiler blieb sich selbst überlassen und ist als Flächennaturdenkmal ausgewiesen.

Das ehemalige Werks- und Raffineriegelände nebst Gleisanschluss wird seit 1952 als Gewerbestandort genutzt.

Das Gebäude der Hochspannungsanlage für die Gasreinigung steht noch und wird als Lager genutzt.

Spätestens mit der Erschließung des Dußlinger Wohngebietes „Maltschach – Geigesried“ im Jahr 1996 verschwanden die letzten größeren baulichen Überreste des Werkes Wüste I. Das Gelände wurde teilweise mehrere Meter aufgeschüttet.

In einer Baugrube im Bereich Birkenstraße / Buchenstraße kamen bauliche Überbleibsel des Werkes zum Vorschein – vermutlich handelt es sich hier um den Standort der Verbrennungsanlage und der Rohöl-Sammelbehälter.

Eine Station des Dußlinger Geschichts-Lehrpfades erinnert inzwischen an die Geschichte dieses Standortes, über den viele Jahrzehnte der Mantel des Schweigens und Vergessens gelegt wurde.

Quellen:

[Hrsg.] Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg „Wir sind gezeichnet fürs Leben, an Leib und Seele. Unternehmen »Wüste« – das südwürttembergische Ölschieferprojekt und seine sieben Konzentrationslager“, Stuttgart, 2012

Zekorn, Dr. Andreas „Das Unternehmen »Wüste«“

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