Neubrandenburg – VEB Meliorationskombinat

Neubrandenburgs schlimmste Ruine. So titelte zumindest eine der führenden Tageszeitungen. Die Geschichte dieser inzwischen heruntergekommenen Ruine, deren Hauptgebäude unter Denkmalschutz steht, ist weitgehend unbekannt.

#Titel NB Meliorationskombinat

Wenig bekannt dürfte heute auch der Begriff Melioration sein. Er bezeichnet im allgemeinen alle Maßnahmen, um (landwirtschaftliche) Böden zu verbessern, insbesondere den Wasser- Luft-, und Nährstoffhaushalt. Das Ziel liegt dabei auf der Erhöhung der erzielbaren landwirtschaftlichen Erträge durch Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit, Verhinderung von Bodenerosion (z.B. durch Anlegen von Windschutzstreifen), Verhinderung von Boden-Versauerung – und Versalzung (z.B. durch Einbringen von Kalk oder anderen Stoffen in den Boden). Gängige Meliorationsmaßnahmen sind die Be- und vor allem die Entwässerung, das Einbringen bodenfremder Stoffe, Tiefenlockerung, Beseitigung von Kleinbiotopen (aber auch Rekultivierungsmaßnahmen). Aus der Sicht des Naturschutzes sind viele Maßnahmen äußerst umstritten.

In der DDR wurde Landwirtschaft in groß-industriellem Stil praktiziert. Dafür benötigte man große, zusammenhängende und möglichst ebene Flächen. Auf naturschutzfachliche Dinge wurde wenig Rücksichtig genommen.

Ab 1963 wurden in der DDR zunächst Meliorationsgenossenschaften geschaffen. Diese fungierten als eine Art Dienstleiter für die landwirtschaftlichen Betriebe und waren für den Neubau, den Unterhalt und die Reparatur von land- und forstwirtschaftlichen Meliorationsanlagen verantwortlich.

Ab 1968 erfolgte dann die Gründung der Meliorationskombinate in den 15 Bezirken der DDR. Diese kümmerten sich um größere Investitionen, die Verrohrung von Gewässern,  den Bau von großen Bewässerungsanlagen und den Bau von Wirtschaftswegen. Seinen Sitz hatte die Hauptverwaltung des VE Meliorationskombinat Neubrandenburg im industriellen Herz der Bezirksstadt: in der Ihlenfelder Straße. Hervorgegangen war es aus seinem Vorgänger, dem 1963 gegründeten VEB Meliorationsbau Neubrandenburg.

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Die Meliorationsgenossenschaften waren Bestandteil der Meliorationskombinate. In den Meliorationskombinaten wurden zentral die Planungs- und Projektierungsaufgaben für die Meliorationsgenossenschaften übernommen.

Eines der umstrittensten Meliorationsprojekte im Bezirk Neubrandenburg war die fast vollständige Trockenlegung der Friedländer Großen Wiese von 1958 bis 1965.

Unter Regie des Meliorationskombinates Neubrandenburg (in Kooperation mit dem VEB Tiefbaukombinat Neubrandenburg und den Meliorationsgenossenschaften Anklam, Ueckermünde und Friedland) wurde in den Jahren 1977 bis 1981 das größte Bewässerungsprojekt der DDR ausgeführt: der Bau des Peene-Süd-Kanals zur Bewässerung der angrenzenden Felder und vor allem zur Bewässerung eben jener vorher trocken gelegten Friedländer Großen Wiese. Feierlich eröffnet wurde der Peene-Süd-Kanal am 09. April 1981 durch den Direktor des Meliorationskombinates Neubrandenburg, Herr Dr. Seidel. Der Kanal kostete 33,9 Millionen Mark der DDR, das erforderliche Pumpwerk kostete 14 Millionen Mark der DDR. Längs des Kanals wurden beidseitig Windschutzstreifen gepflanzt, um die Bodenerosion zu vermindern, die durch vorhergehende Meliorationsmaßnahmen auf den umliegenden Feldern plötzlich zum Problem wurde. Um große zusammenhängende Flächen zu schaffen hatte man Anfang der 1970er Jahre sämtliche Feldrainhecken und Gehölzstreifen an den Feldrändern beseitigt…

Wenn man sich über den riesigen Verwaltungsbau aus den 1950er Jahren wundert: die Meliorationskombinate mussten neben den Planungs- und Projektierungsarbeiten unter anderem über jede durchgeführte Maßnahmen Buch führen und jede dieser Maßnahmen in einem sogenannten Meliorationskataster erfassen. Weiterhin mussten die diversen Außenstellen des Kombinates (z.B. in Ueckermünde) koordiniert werden.

Das Innere ist völlig heruntergekommen.

Direkt neben der Hauptverwaltung wurde (vermutlich Ender der 1970er Jahre) ein Neubau errichtet, der zum Teil durch die zum Meliorationskombinat gehörige Betriebsberufsschule genutzt wurde.

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Ein Verbindungsgang erlaubt den Durchgang vom Hauptgebäude. Dessen Flügeltür öffnet heute den Weg in eine verwüstete Welt.

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Über mehrere ehemalige Büros zeigt sich das gleiche Bild…massenhaft liegen Akten und Unterlagen auf dem Boden zerstreut.

Nur wenige Stellen des Bodens sind nicht von Schutt und Müll bedeckt.

Der senkrecht zum Hauptgebäude stehende Anbau beherbergte im Erdgeschoss eine kleine Sporthalle

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Davon von ist heute kaum noch etwas zu erkennen – höchstens die Reste des Parketts lassen es erahnen.

Der große Wirtschaftshof bietet auch keinen schönen Anblick mehr.

Was diese Überreste einmal darstellten, kann man heute nicht mehr erkennen:

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Zumindest auf den ersten Blick noch halbwegs erhalten ist das ehemalige Sozialgebäude, das auch die Kantine enthielt.

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Im Inneren natürlich auch das blanke Chaos. Überall zerbrochenes Glas.

Ebenfalls auf dem Gelände des Wirtschaftshofes befanden sich noch Garagen und eine Kfz-Reparaturwerkstatt.

Nach 1989 wurden das Meliorationskombinat recht zügig aufgelöst. Der Neubrandenburger Gebäudekomplex wurde zunächst von einigen Firmen als Bürostandort genutzt. Nach einigen Jahren der Nachnutzung verwaiste das Gelände und verfällt seit dem vor sich hin.

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Nachnutzungskonzepte sind keine in Sicht.

Ein schwerer Brand zerstörte einen großen Teil des Dachgeschosses des denkmalgeschützten Hauptgebäudes.

Die „vergessene“ Infrastruktur der DDR – die vielen Tausend Kilometer verlegter Be- und Entwässerungsrohre – stellen heute ein großes finanzielles Problem dar. Niemand fühlt sich seit 1990 für Wartung, Reparatur oder Rückbau verantwortlich. Allein in Mecklenburg-Vorpommern liegen etwa 7.000 Kilometer Rohre von Meliorationsanlagen in der Erde. Der Sanierungs- und Reparaturaufwand der mehr als 50 Jahre alten Meliorationsanlagen alleine in Mecklenburg Vorpommern wird auf 1,4 Milliarden Euro geschätzt. Bezahlen möchte das niemand – also deckt man lieber den Mantel des Schweigens darüber und hofft auf allgemeines Vergessen. Fachleute für Melioration und Meliorationsanlagen werden heute nicht mehr ausgebildet.

Quellen:

Beigang, Thomas „Unter Denkmalschutz. Die vielleicht schlimmste Ruine Neubrandenburgs“, Nordkurier (online) 17.06.2019

Dittrich, Simone / Worm, Wolfram „Erfassung von Unterlagen des Meliorationskatasters der DDR und Vorschläge zu deren Sicherung“ in: Infodienst der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Dresden, 10/2005, S. 15-21

Fuchs, Mareike / Köhler, Eike „DAs verbuddelte Erbe der DDR. Marode Wasserrohre in MV“, NDR, 21.04.2022

Hehne, Mario / Naumann, Fabian „Entwicklung und Erprobung einer innovativen Methode zur Detektion, Verwaltung und Analyse von landwirtschaftlichen Entwässerungsanlagen“ Abschlussbericht im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft, Dresden, 2020

Kohls, Lothar „Die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft des Kreises Anklam 1945 bis 1990“, Anklam, 2007

Lemke, Udo „Kaputte Unterwelt“, in: Sächsische Zeitung (online), 10.04.2018

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