MfS – Dienstobjekt Waldeck

Alles begann mit der Suche nach einem alten Munitionsbunker. Bei der weiteren Recherche zum Objekt stellte sich schnell heraus, das hier ein größeres Objekt seine interessante Geschichte verborgen hielt: das ehemalige Dienstobjekt Waldeck des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

Erst nach und nach kristallisierte sich die Größe und wahre Funktion des Objektes heraus. Eine Recherche vor Ort ist schwierig, da das gesamte Gelände mehr oder weniger nachgenutzt wird.

Wie so oft wurde die natürliche Tarnung eines kleinen Waldgebietes ausgenutzt, als Anfang der 1950er Jahre die ersten Bauarbeiten begannen. Was genau hier gebaut wurde, blieb der Bevölkerung verborgen und ist auch heute im Wesentlichen für die allermeisten unbekannt.

Erbaut wurde hier um 1955, südlich der Stadt Rostock, das Sendezentrum Waldeck . Zu diesem Zeitpunkt wurde die Funkbeobachtungsstation im nahen Hohen Luckow zur Funkaufklärung und Funkabwehr errichtet und permanent technisch und personell erweitert.

Das Sendezentrum Waldeck bestand im Wesentlichen zunächst aus einem kleinem Stahlgitter-Funkturm, einem Sendegebäude, einem kleinen Verwaltungsgebäude und Garagen für mobile Technik und den Kfz-Fuhrpark. Das Gelände war mit einem Zaun und Postentürmen gesichert.

Waldeck - Zaun

Das Objekt wurde kontinuierlich ausgebaut. Ein Dieselaggregat als Netzersatzanlage und die zugehörige Transformatorenstation wurde 1963 vom VEB Hochbauprojektierung Rostock geplant und Mitte der 1960er Jahre eingebaut. Der Garagenkomplex wurde 1970 erweitert. Der Bau eines Postenhauses erfolgte 1971, was darauf schließen lässt, das die Bewachung intensiviert wurde.

IMG_20200308_163025Ein neuer Antennenturm wurde 1976 gebaut – getarnt als Feuerwachturm (wie sie häufig in Waldgebieten zu finden waren).

Der Turm steht noch heute, allerdings auf einem Firmengrundstück. Durch die Bewaldung und Rundum-Bebauung ist er auch schlecht zu sehen und aufs Bild zu bannen.

1976 erfolgte die Errichtung einer eigenen Tankstelle und weiterer Lagerhallen. Die Rekonstruktion der Fahrzeughallen erfolgte 1987. 1988 erfolge der Einbau eines Wärmeschutzes und einer Heizungsanlage in die Kfz-Hallen.

Zum Sendezentrum Waldeck zugeordnet waren im Wesentlichen die Funkbeobachtungsstelle 52 in Hohen Luckow und die Funkpeilstelle 523 in Hohen Luckow-Matersen (Deckname „Balkan“) sowie die Funkpeilstelle „zur Erfüllung besonderer Aufgaben“ 576 in Wiek auf Rügen. Das Sendezentrum Waldeck fungierte hierbei als Kommandosendestelle.

Strukturell gehörte das Sendezentrum Waldeck zur Abteilung III der Stasi-Bezirksverwaltung Rostock „Funkaufklärung und Funkabwehr“ mit der Aufgabe politische, wirtschaftliche und militärische Informationen mittels funkelektronischer Gerätetechnik zu gewinnen. 1982 wurden die ehemaligen Referate III zu Abteilungen hochgestuft. Die korrespondierende Hauptabteilung III des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin war dabei das oberste ELOKA/SIGINT- Führungsorgan.  ELOKA ist die gängige Abkürzung (in Ost und West) für Elektronischer Kampf und SIGINT ist die auch heute noch gängige Abkürzung für Signal Intelligence, also der Gewinnung von Informationen aus elektrischen Signalen (z.B. Funk, Radar, Richtfunk). Überwacht wurden vor allem grenzüberschreitende Nachrichtenkanäle (z.B. Richtfunk) oder Nachrichtenkanäle, die auf das Territorium der DDR abstrahlten (z.B. Mobilfunk, Richtfunk, Kurzwellen-Funk, UKW-Funk, Satellitenverbindungen). Im Stasi-Jargon hieß das „spezielle Informationsgewinnung“.

Bis 1980 lag der Schwerpunkt auf der permanenten Überwachung von Kurzwellensendern – mehr als 200 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter waren damit befasst! Gearbeitet wurde rund um die Uhr im Schichtdienst. Ab 1980 kam die Überwachung von UKW-Sendern hinzu, seit 1981 war die Erprobungsstelle für das Abhören von UKW-Sendungen fertig ausgebaut.

Eine Reserve-Sendezentrale befand sich im nahe gelegenen Fresendorf.

Nach der friedlichen Revolution 1989 und der anschließenden schnellen Auflösung des Geheimdienstkraken Staatssicherheit wurde auch das Sendezentrum Waldeck sehr schnell demontiert. Im Februar 1990 war das Sendezentrum nicht mehr arbeitsfähig, sämtliches Personal war entlassen, die Technik ausgebaut. Am 02. März wurde das Gelände an die Grenzbrigade Küste übergeben, die aber auch nicht wirklich Verwendung für das Objekt hatte. So erfolgte nach und nach eine weitere Demontage und Beräumung;  alle Antennen waren spätestens im Sommer 1990 vollständig abgebaut. Heute kann man noch die Fundamente des ehemaligen Stahlgittermastes auf einem Grundstück erkennen. An der nahen Waldkante lässt sich ein kleiner Bunkerhügel ausmachen (vermutlich ein FB-3), der heute auf einem Privatgrundstück liegt und vermutlich als Lagerraum genutzt wird.

Waldeck - Fundamentreste Antennenträger

Waldeck – Fundamentreste des Antennenträgers auf der Wiese; links am Bildrand an der Waldkante das mutmaßliche kleine Schutzbauwerk

Mitte der 1980er Jahre wurde am südlichen Ende des Sendezentrums mit umfangreichen Baumaßnahmen begonnen. Die Abteilung Rückwärtige Dienste des Ministeriums für Staatssicherheit, Bezirksverwaltung Rostock, sollte aus dem Hauptsitz der Bezirksverwaltung Rostock ausgelagert werden. Vermutlich brauchte man Platz im Hauptgebäude. Auch die Abteilung Rückwärtige Dienste schien ein wahrer Bürokratiemoloch zu sein. Sie bestand aus den Referaten Verwaltung, Planung und Finanzen. Man kümmerte sich um Bauinvestitionen, Baureparaturen, Beschaffung von Material, Ausrüstung und Konsumgütern (MAK war dafür die gängige Abkürzung jener Zeit), Beschaffung von militärischer Ausrüstung und die Instandhaltung der Technik und Fahrzeuge. Die Abteilung Rückwärtige Dienste war für die Versorgung „mit allem“ zuständig, von Verbrauchsmaterialien wie Toilettenpapier bis hin zur Munition.

Die eigenen Jahresplanungen (heute würde man von Budgetplanung sprechen) der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit mussten mit den jährlichen Volkswirtschaftsplänen übereinstimmen; diese wiederum mussten den 5-Jahresplänen entsprechen. Planvorschläge (heute Budgeplanung genannt) wurden erarbeitet, die wiederum von verschiedenen Stellen bestätigt werden mussten oder – falls nicht – neu überarbeitet werden mussten. Hier wurde bestimmt jede Menge Papier verbraucht und unzählige Stunden in Meetings verbracht (damals hieß das Versammlung oder Dienstberatung).

Waldeck - Sporthalle

Waldeck – Sporthalle

So wurden in Waldeck unter anderem Büro- und Verwaltungsgebäude, eine Kantine, eine Sporthalle, ein kleines Heizhaus, eine kleine Kläranlage

Waldeck - Postenhaus

Waldeck – Kläranlage

und diverse Lager-gebäude (z.B. das Nahrungs- und Genussmittellager) aus dem Boden gestampft. Was zunächst nach einer reinen Versorgungsbasis klingt, erhält schnell einen schalen Beigeschmack – hier geht es um eine Dienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit. So befand sich in Waldeck auch das sogenannte Asservatenlager für eingezogene Gegenstände und Vermögenswerte von Privatpersonen, zu denen die Bezirksverwaltung Rostock Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

Waldeck - MunBunker

Auf dem Gelände befindet sich, versteckt zwischen der Sporthalle und dem Verwaltungsgebäude, auch ein Munitionslagerbunker. Er wurde oberirdisch gebaut und mit Erde überdeckt. Waldeck - MunBunker Eingang

Der rechteckige Bau hat zwei Eingänge, die zur Straße hin angelegt wurden. Vermutlich existierte ein kleiner überdachter Ladebereich, der jedoch heute nicht mehr erhalten ist. Für den flüchtigen Beobachter sollte nicht ersichtlich sein, wann Einlagerungen oder Entnahmen aus dem Munitionslagerbunker erfolgten – auch hier legte man auf Tarnung und Verschleierung großen Wert.

Es ist jedoch heute nicht mehr feststellbar, ob sich der Munitionslagerbunker schon vor der Erweiterung des Geländes dort befand, oder ob er gleich mit neu gebaut wurde. Vermuten könnte man, das er neu gebaut wurde und mit dem Erdaushub der Baustelle die Bunkerübderdeckung angelegt wurde.

Der Bezug des „Dienstobjektes Waldeck“ (so der offizielle Sprachgebrauch) durch die Abteilung Rückwärtige Dienste erfolgte Schritt für Schritt ab 1986.

Die Bewachung des gesamten Geländes erfolgte durch die Wach- und Sicherstellungseinheit (WSE) „Alfred Scholz“. Ob die WSE ebenfalls in Waldeck ihre Kaserne hatte, ließ sich noch nicht feststellen.

Die Sicherung für das gesamte Dienstobjekt Waldeck wurde weiter verstärkt: eine Hundelaufanlage und ein Hundezwinger wurden 1987 gebaut. Tore und Zäune wurden durch Postentürme zusätzlich gesichert.

Waldeck - Postenturm 02

Am 02.03.1990 wurde das gesamte Objekt im Zuge der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. Amtes für Nationale Sicherheit (wie es kurzzeitig hieß) an die Grenzbrigade Küste übergeben. Vorher wurde (natürlich) alles Geheime ausgebaut, umgelagert oder vernichtet.

Nach der Auflösung der Grenzbrigade Küste stand das Objekt eine Zeit lang leer, ehe es zum Gewerbegebiet umfunktioniert wurde. Genügend Lagerhallen und Baracken standen dafür zur Verfügung. In das Verwaltungsgebäude der Rückwärtigen Dienste zog die Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ein und beherbergt das Archiv der Stasi-Unterlagen der ehemaligen Bezirksverwaltung Rostock.

 

Quellen:
Schmidt, Andreas „Hauptabteilung III. Funkaufklärung und Funkabwehr“, herausgegeben vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) in der Reihe „Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur und Methoden. MfS-Handbuch“, Berlin, 2010
Im Bundesarchiv finden sich unter den folgenden Signaturen Informationen zur regen Bautätigkeit im Objekt (interessant: das Wort Sendezentrum taucht dabei kein einziges Mal auf): BArch, Rst Abt RD/374 Bd 1;  BArch, Rst Abt RD/381 bis BArch, Rst Abt RD/387; BArch, Rst Abt RD/394 bis BArch, Rst Abt RD/401; BArch, Rst Abt RD/468; BArch, Rst Abt RD/502; BArch, Rst Abt RD/508; BArch, Rst Abt RD/545

 

 

 

 

 

 

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