WK II – Torpedo – Versuchsanstalt Neubrandenburg

Dieser Ort ist zu großen Teilen kein Lost Place im eigentlichen Sinne! Das gesamte Gelände mit 50jähriger militärischer Nutzung ist heute ein Gewerbegebiet. Dennoch bieten sich genügend spannende Motive für die Kamera – und die Geschichte dieses Ortes sollte auf keinen Fall in Vergessenheit geraten…

Die mecklenburgische Kleinstadt Neubrandenburg entwickelte sich ab 1933 zu einem Militär- und Rüstungsstandort – ab 1935 stellte der Unternehmer Richard Rinker (Richard Rinker GmbH) auf Rüstungsgüter um; der Erfinder und Waffenkonstrukteur Curt Heber stampfte in wenigen Monaten ein riesiges Produktionsgelände im Neubrandenburger Norden aus dem Boden und zog mit seiner Berliner Firma nach Neubrandenburg; sein Unternehmen Mechanische Werkstätten Neubrandenburg entwickelte sich in kurzer Zeit zu einem bedeutenden Zulieferer für die Luftwaffe. 1936 entstand im nahen Trollenhagen ein Fliegerhorst der Luftwaffe; 1938 zog die Deutsche Wehrmacht mit einer Panzerkaserne in den Neubrandenburger Südosten. Die Einwohnerzahl der Stadt stieg in kurzer Zeit von 15.000 auf über 20.000. Neue Wohngebiete entstanden vor allem entlang der Bahnstrecken im Großraum des nördlich des Stadtzentrums gelegenen Bahnhofs.

Im Süden der Stadt, außerhalb des mittelalterlichen Stadtkerns und der Stadtbefestigung befand sich zu dieser Zeit so gut wie keine Bebauung entlang der Neustrelitzer Chaussee.

Das Stargarder Bruch war ein unbebautes Feuchtwiesengebiet vor den südlichen Toren der Stadt. Hier – nördlich der bereits bestehenden Augustastraße, die zur Erschließung des Geländes genutzt wurde – entstand in den Jahren 1941 und 1942 auf etwa 25 Hektar eine Außenstelle der Torpedoversuchsanstalt Eckernförde der Deutschen Kriegsmarine. Die Torpedoversuchsanstalt (TVA – in zeitgenössischen Akten T.V.A.) war ein landbasierter Truppenteil der Kriegsmarine, der zur Einheit „Torpedoinspektion“ gehörte. Aufgabe der TVA war die Verbesserung der Torpedos hinsichtlich Zuverlässigkeit, Zündung, Steuerung, Tiefenhaltung, Geschwindigkeit und Laufstabilität, um die Trefferwahrscheinlichkeit zu erhöhen.

Je länger der Krieg dauerte, um so stärker war die Gefahr alliierter Bombenangriffe. Neubrandenburg schien auf Grund seiner Lage ein geeigneter und sicherer Standort zu sein – weit im Binnenland gelegen, den großen Tollensesee direkt vor der Tür und das Ganze nicht allzu weit entfernt von Berlin, dem Sitz des Oberkommandos der Kriegsmarine.

Innerhalb kurzer Zeit wurden 5 große Werkhallen, unzählige Nebengebäude und ein oberirdischer Luftschutzbunker aus dem Boden gestampft; ein 2,6 km langes Bahn-Anschlussgleis wurde errichtet, das vom Bahnhof im großen Bogen ostwärts um die Stadt führte und im Gelände der Torpedoversuchsanstalt endete. Auch die Bahnzufahrt wurde durch ein großes Stahltor versperrt – selbst die ankommenden und abgehenden Güterzüge wurden kontrolliert.

Mitten im See wurde auf Pfählen ein monumentales Hauptgebäude errichtet, das den Torpedo-Abschuss-Schießstand und das Kommando- und Kontrollgebäude in Form eines 7-stöckigen turmartigen Gebäudeteils beherbergte.

Eine breite Holzbrücke von etwa 500 Metern Länge verband den Torpedoschießstand mit dem Festland. Diese Brücken-Steg-Konstruktion diente gleichzeitig als Hafen für die sogenannten Torpedofangboote, die die verschossenen Torpedos am Ende des Sees wieder einsammeln mussten.

Lageplan TVA 1943

TVA Neubrandenburg 22Verschossen wurden nur Torpedos ohne Munition, die am anderen Ende des Sees nach Durchlaufen der etwa 8 Kilometer langen Teststrecke wieder aus dem Wasser gefischt wurden. Anstelle des Sprengkopfes befand sich ein Betonkopf oder eine mit Wasser gefüllte Sprengkopfattrappe. Zum leichteren Auffinden des Torpedos war die Torpedospitze mit roter und weißer Farbe bemalt. Der Torpedoabschuss aus dem Schießstand erfolgte sowohl unter Wasser als auch über der Wasseroberfläche. Für die Badegäste des nahe gelegenen Augustabades bedeutete dies, das sie bei Ertönen eines Signals aus Sicherheitsgründen das Wasser verlassen mussten. Entlang der Teststrecke verliefen Kabelschleifen, über die der Weg des Torpedos im Kontrollzentrum verfolgt werden konnte. Beobachtungsboote waren im See entlang der Laufstrecke positioniert und führten visuelle Beobachtungen des Torpedolaufes aus.

Nach Aufnahme des regulären Dienstbetriebes in der TVA ab Juni 1942 waren hier etwa 400 Menschen tätig – Marineangehörige, Zivilbeschäftigte und Dienstverpflichtete. Das gesamte Gelände war umzäunt und militärisches Sperrgebiet. Zutritt nur für die hier beschäftigten und nur für ihre jeweiligen Arbeitsbereiche – die TVA war in unterschiedliche Sperrzonen eingeteilt, für die man jeweils eine separate Zugangserlaubnis benötigte.

Neben dem Test von Torpedos wurde in der TVA Neubrandenburg auch militärisches Fachpersonal ausgebildet sowie an der Entwicklung neuer Torpedotypen geforscht (zum Beispiel automatische Zielerfassung mittels Radar).

Die Haupt-Zufahrt zum Gelände der TVA erfolgte über die Augustastraße. Ein Wach- und Verwaltungsgebäude im typischen Ziegelsteinlook bewachte die Zufahrt.

TVA Neubrandenburg 140

In der heute noch vollständig erhaltenen Halle 5 arbeiteten Ingenieure und Techniker der Firmen Siemens und AEG als Zivilbeschäftigte der Kriegsmarine an der Weiterentwicklung verschiedener Technologien – hauptsächlich in Bezug auf die Steuerung. Halle 5 wurde auch als elektrotechnische Abteilung bezeichnet.

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In der Halle 6 (ebenfalls noch fast vollständig erhalten) wurden die aus dem Wasser gefischten Torpedos getrocknet und für die weitere Verwendung aufbereitet.

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Vollständig abgerissen wurde nach 1945 die Halle 7, deren Funktion auch heute noch weitgehend unbekannt ist. Mutmaßlich befand sich in einem Teil des Gebäudes die Betriebsgärtnerei. Diese Halle wurde in den 1950er Jahren wieder aufgebaut – befindet sich also nicht mehr im Originalzustand. Beibehalten wurde beim Wiederaufbau der Werkhalle zumindest die charakteristische Ziegelbauweise.

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Halle 8 – in der die praktische Ausbildung von Torpedotechnikern und Marineangehörigen erfolgte – wurde ebenfalls nach 1945 vollständig abgebrochen (und Mitte der 1950er Jahre wieder aufgebaut).

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Die Funktion der noch erhaltenen Halle 9 ist ebenfalls unbekannt.

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Der Motorenprüfstand für die verschiedenen Torpedoantriebe befand sich in Halle 10. Gebräuchlich für die Torpedos waren Antriebe mit Pressluft oder rein elektrische Antriebe.

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Eine kleine Bootswerft befand sich an der nordwestlichen Ecke des Geländes (Gebäude Nr. 1 – Nummerierung aus der Nutzungsperiode nach 1945). Hier wurden vor allem die Beobachtungsschiffe und Torpedobergungsschiffe instand gehalten. Vom ursprünglichen Charakter des Gebäudes ist heute nicht mehr viel zu sehen.

TVA Neubrandenburg 09

Etwa dort, wo heute ein kleiner Hafen für Segelboote beheimatet ist, befand sich die Stegbrücke, die etwa 500 Metern auf den See hinaus zum Torpedo-Schießstand führte. Die Reste des Torpedo-Schießstandes, die sich nur wenig über die Wasseroberfläche erheben, sind gerade noch zu erkennen.

TVA Neubrandenburg 25

Alle Gebäude der TVA überstanden den Krieg völlig unzerstört (genau wie die Stadt Neubrandenburg) – Bombardements – vor allem auf die kriegswichtige Infrastruktur – fanden nicht statt!

Am 28. April 1945 erreichten die ersten Truppen der Roten Armee die Stadt. Die TVA wurde am selben Tag evakuiert – die schon vorbereitete Sprengung des gesamten Geländes fand jedoch nicht statt. Erst die Truppen der Roten Armee steckten nicht nur die TVA in Brand, sondern die gesamte Innenstadt Neubrandenburgs, die zu diesem Zeitpunkt schon kapituliert hatte. Über diese (und weitere) Kriegsverbrechen, die sich hier zutrugen, wurde über viele Jahrzehnte der Mantel des Schweigens gedeckt.

Das TVA-Gelände blieb zunächst durch die Rote Armee besetzt.

Im harten Nachkriegswinter 1946/1947 demontierte die notleidende Bevölkerung den kompletten Holzsteg, der zum Hauptgebäude auf dem See führte, um das Holz als Brennholz zu nutzen. Im April 1947 wurde das Hauptgebäude auf der Insel von den russischen Besatzern gesprengt; danach wurden alle landseitigen Gebäude geplündert. Das vollständig leer geräumte und teilweise verwüstete Gelände wurde dann im Oktober 1947 an die Stadt Neubrandenburg übertragen.

Die noch aus dem Wasser ragenden Pfähle der Stegkonstruktion wurden 1949 entfernt. Übrig blieben nur sehr wenige Reste, die heute als sogenannte Trümmerinsel ein Vogelschutzgebiet inmitten des Tollensesees darstellt.

TVA Neubrandenburg 110

Ab 1952 begann die erneute militärische Nutzung des Geländes als größter militärischer Instandsetzungsbetrieb der DDR (RWN – VEB Reparaturwerk Neubrandenburg). Bis zum Ende der DDR im Jahre 1989 wurden hier unter anderem Panzer instand gesetzt.

Im Jahre 2003 wurde das Bahnanschlussgleis zurück gebaut. Teile des originären Trassenverlaufs sind noch heute erkennbar.

Als letztes Relikt aus der Nutzungszeit des Geländes als TVA wurde der Luftschutzbunker im Jahre 2015 gesprengt. Übrig blieb eine große freie Fläche.

TVA Neubrandenburg 51

Heute erinnert ein Lehrpfad mit mehreren Stationen an die wechselvolle Geschichte des Geländes, das heute fast vollständig als Gewerbegebiet genutzt wird.

Quellen:

SLUB/Deutsche Fotothek, Meßtischblatt 2445: Neubrandenburg 1945 (letzter Nachtrag 1943) – Berlin, Reichsamt für Landesaufnahme; © SLUB / Deutsche Fotothek
Lizenz: Freier Zugang – Rechte vorbehalten.(http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71052561/df_dk_0010001_2445)

zeitlupe – Stadt.Geschichte & Erinnerung. Dokumentation zur Geschichte der ehemaligen TVA und des RWN Neubrandenburg (ein Projekt der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern e. V. , gefördert von der Freudenberg Stiftung) – Zeitlupe Minus NB Punkt de

Zimmermann, Oliver „Torpedo-Versuchs-Anstalt Neubrandenburg“, Informationstafel zur Geschichte der TVA, Neubrandenburg, 2005

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