NVA – FRA 4351 Retschow

Ein gut ausgebauter Abzweig an einer Landstraße führt heute ins Nirgendwo. Gegenüber einige Wohnblöcke im Tarnfarben-Look. Der ehemalige Kasernenbereich der Flugabwehrraketen-Abteilung 4324 / 4351. Die Straße ins Nirgendwo führte 1988 zur Baustelle für die neue Feuerstellung.

FRA 4351 - neue Feuerstellung

Das ist alles, was von der neuen Feuerstellung übrig blieb: eine Betonstraße, die im Nirgendwo endet.

Heute erinnert nichts mehr an die einstige Großbaustelle mitten im Wald. Die beiden Vergleichsfotos aus den Jahren 1995 und 2020 sind in etwa von der gleichen Stelle gemacht worden – die Unterschiede sind gigantisch.

Einfahrt Feuerstellung FRA 4351

Die Zufahrt zur neuen Feuerstellung – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Der Blick aus der Feuerstellung in Richtung Straße und Wohnbereich zeigte 1995 noch die breite Betonstraßen-Kreuzung. Selbst diese Kreuzung ist heute verschwunden.

Blick aus der Feuerstellung zum A-Bereich

Blick aus der Feuerstellung zum A-Bereich – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Seit 1962 lag in den Wäldern in Retschow bei Bad Doberan versteckt die Abschuss-Stellung für Flugabwehrraketen mit der Bezeichnung FRA 4324.

Außenstehende wussten im Normalfall nicht, was hier im Wald passierte. Und: Mitten im Wald hieß tatsächlich: in den Wald hinein gebaut….

Feuerstellung FRA 4351 nördlicher Teil

Impression vom nördlichen Teil der Feuerstellung der FRA 4351 – mitten im Wald – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Bis 1988 waren in Retschow S-75 – Flugabwehrraketen des sowjetischen Systems „Wolchow“ stationiert. Reale Schießübungen mit den Raketen wurden seit den 1960er Jahren alle zwei Jahre ausschließlich auf dem sowjetischen Schießplatz Aschuluk – Kapustin Jar in der kasachischen Steppe durchgeführt. Die Verlegung der Truppen und Raketen nach Kasachstan erfolgte per Bahn! Bei einer Strecke von 2.400 km dauerte das meist acht bis neun Tage, für eine Tour.

Mitte der 1980er Jahre sollten schrittweise mobile Flugabwehr-Raketen-Systeme eingeführt werden – die sogenannten S-300 „Angara“ – das modernste Waffensystem, das der russische Waffenbruder zu bieten hatte. Der Standort Retschow sollte zu den ersten Einheiten der NVA gehören, die auf die neue Technik umstellen sollte. Dazu wurde 1988 die „alte“ FRA 4324 aufgelöst und die „neue“ FRA 4351 aufgestellt.

Für die neue Technik wurde der Bau einer neuen Feuerstellung erforderlich;  die Bauarbeiten beginnen noch 1988 im Wald unmittelbar auf der gegenüberliegenden Straßenseite des bisherigen Objektes. Sämtliche Bauarbeiten hatten – mangels finanzieller und materieller Ressourcen – in sogenannter Truppeneigenleistung zu erfolgen. Praktisch hieß das: alle Soldaten des Standortes wurden zu den Bauarbeiten herangezogen. Handarbeit war angesagt; Spaten, Schaufel, Hacke, Schubkarre – mehr stand an Werkzeug meist nicht zur Verfügung. Kein Wunder, dass sich die Bauarbeiten für die neue Feuerstellung über Jahre hinzogen. Hier wurde buchstäblich alles aus dem Boden gestampft – Wasser- und Abwasserleitungen, unterirdische Stromleitungen, Straßen und Dienstgebäude.

DHS-Baracke FRA 4351

Die fast fertige DHS-Baracke in der neuen Feuerstellung – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Innerhalb von zwei Jahren entstanden die so typischen Bauten einer FRA. Die Fahrzeug-deckung für die Raketenleitstation mit angrenzendem Mannschaftsbunker vom Typ FB-3 war so gut wie fertig – nur die Erdüberdeckung scheint noch zu fehlen. Selbst die Stahltore waren schon montiert.

Fahrzeugdeckung Raketenleitstation

Fahrzeugdeckung der Raketenleitstation – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Andere Fahrzeugdeckungen wurden nur im Rohbau fertig.

westliche Fahrzeugdeckung

Rohbau westliche Fahrzeugdeckung FRA 4351 – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Durch die fehlenden Erdüberdeckungen konnte man Mitter der 1990er Jahre gut erkennen, das sämtliche Bauwerke und Bunker oberirdisch errichtet wurden und die Betonwände entweder mit etwas Teer oder Dachpappe gegen Feuchtigkeit abgedichtet wurden. Die aufgeschütteten Erdhaufen sollten für die Überdeckung der meisten Bauwerke mit Erde wieder verwendet werden.

Rohbau Fahrzeugdeckung

Rohbau einer Fahrzeugdeckung – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Gebaut wurde immer nach Materialverfügbarkeit. War nicht genügend Beton vorhanden, mussten der Ausbau der typischen Ringstraße eben warten. Die Mannschaftsbunker vom Typ FB-3 waren schon teilweise mit Erde überdeckt, so dass auch hier die Be- und Entlüftungsrohre wie Dinohälse aus der Erde ragten.

Die große Mittelpunktsdeckung, die als Garagenbunker die Führungsstelle (umgangssprachlich Gefechtsstand genannt) beherbergen sollte, war 1990 im Rohbau fertig gestellt und ragte sehr monumental über das Gelände.

Rohbau Mittelpunktsdeckung

Rohbau der Mittelpunktsdeckung FRA 4351 (noch ohne Erdüberdeckung) – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Die Ausmaße dieses Bauwerkes waren im Rohbauzustand sehr gut zu erkennen (meistens unterschätzt man die Größe durch die Erdüberdeckung und den späteren Bewuchs)

Mittelpunktsdeckung Außenwand

Mittelpunktsdeckung – Außenwand mit Blick auf Zuluftrohre und Notausstieg – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Die Oberseite des Bunkers war mit einer Art Plane zusätzlich gegen von oben eindringendes Wasser geschützt; die Außenwände durch einen Anstrich aus Teer oder aus Dachpappe.

Die Rückseite der Mittelpunktsdeckung scheint nur aus einer gemauerten Wand bestanden zu haben. Ob der komplette Innenausbau schon fertig gestellt wurde, kann bezweifelt werden – möglicherweise war die Sanitärinstallation fertig, die Kabel lagen und eventuell war schon mit dem Einbau der Belüftungstechnik begonnen worden.

Fertig gestellt wurde die Mittelpunktsdeckung jedoch nicht mehr – nur einige Fahrzeugdeckungen waren fertig, als in der Nacht vom 30.12.1988 zum 31.12.1988 (!) die Anlieferung der mobilen Abschussrampen und Fahrzeuge erfolgte.

neu_Halle-Nord

Fahrzeugdeckung in der FRA 4351 – Zustand etwa 1995 – Bild: Martin Dostal (c), mit freundlicher Genehmigung

Anfang Februar 1989 kommen die ersten Raketen im militärischen Lager in Gelbensande an und müssen am Standort Prangendorf-Gubkow zwischengelagert werden, da die neue Feuerstellung noch nicht fertig ist. In Prangendorf erfolgt auch die Ausbildung des Retschower Bedienpersonals an der neuen Technik.

Die Bauarbeiten an der neuen Feuerstellung dauern noch bis ins Frühjahr 1990 an, werden dann jedoch abgebrochen. Die neue Technik wird nicht mehr eingeführt und als sensibles Waffensystem im Sommer 1990 komplett in die Sowjetunion zurückgeführt.

Am 02.Oktober 1990 erfolgte der letzte Appell der NVA. Wie die anschließende Übergabe des Objektes an die Bundeswehr erfolgte, ist nicht bekannt. Die Bundeswehr dürfte keine Verwendung gehabt haben für dieses Gelände im Rohbauzustand; die Gemeinde als möglicher Grundstücksbesitzer hatte eher ein Interesse an einem Rückbau und einer zivilen Nachnutzung des Waldes. So stritt man sich viele Jahre über die Kostentragung.

Letztlich wurde das gesamte Gelände der neuen Feuerstellung ab 1996 komplett zurück gebaut, das Gelände wieder renaturiert – heute erinnert nur noch eine Plattenstraße und einige Erdhügel daran, was hier im Wald versteckt werden sollte.

Die ehemaligen Kasernen des A-Bereiches werden heute teilweise als Wohnblocks genutzt.

3 Gedanken zu „NVA – FRA 4351 Retschow

      • Also das in der DDR eingeführte System hieß S-200WE Wega-E und war die Exportversion. Ich diente in Prangendorf allerdings nach der Wende..Wir hatten natürlich MIM-23 Hawk. Vorher war da ja das S’2000 System. Es waren auch noch alle Bunker da und mit Erlaubnis durfte ich auch die unterirdischen Bunker besichtigen. Eine Rakete stand ja noch mit Startrampe in der Kaserne. Heute ist genau diese in Berlin-Gatow ausgestellt. S-200A Angara war ja die erste Version. S-300 heisst Favorit.

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