Ein Geisterbahnhof am Stadtrand der brandenburgischen Landeshauptstadt. Verfallende Bahnanlagen, ein stillgelegtes Stellwerk, zurückgebaute Gleise. Bahnsteige, an denen kein Zug mehr hält und auf denen kein Fahrgast auf Anschluss wartet. Zertrümmerte Anzeigetafeln, zugemauerte Unterführungen, Treppen, die an einer Wand enden.
Der ehemalige Potsdamer Hauptbahnhof verdankt seinem recht kurzen Boom dem Bau der Berliner Mauer und der weiträumigen Umfahrung Westberlins.
Am 18. Januar 1958 wurde der am Berliner Außenring gelegene Bahnhof unter dem Namen Bahnhof Potsdam Süd eröffnet. Zeitgleich wurde eine Straßenbahnlinie in Betrieb genommen, die den Bahnhof mit der etwa drei Kilometer entfernten Potsdamer Innenstadt verband.
An diesem lokalen Verkehrsknotenpunkt treffen sich die Bahnlinien aus Babelsberg über Potsdam Stadt (heute Potsdam Hauptbahnhof) nach Michendorf und Seddin / Güterbahnhof Seddin und Beelitz, sowie aus Werder und Brandenburg. Der Bahnhof entwickelte sich schnell zum wichtigsten Bahnhof am Berliner Außenring, gleich nach dem Bahnhof Flughafen Schönefeld.
Das Bahnhofsgebäude wurde vom Entwurfsbüro der Deutschen Reichsbahn als sogenannter Turmbahnhof konzipiert. Bahntechnisch stellt er einen Kreuzungsbahnhof dar. Auf der oberen Ebene hatte er sechs Gleise, auf der unteren Ebene zwei. Im Bahnhofsgebäude befand sich neben der Fahrkartenausgabe ein kleiner Bereich für Ladengeschäfte und die obligatorische Mitropa sowie Büros für die Bahnangestellten.
Am 2. Oktober 1960 wird der Bahnhof zum Hauptbahnhof Potsdam. Sämtlicher Potsdam tangierender Binnenverkehr wird nun hier abgewickelt; mit dem Ausbau der Fernverbindungen hielten hier nun auch Schnellzüge nach Rostock, Görlitz, Berlin (Ost) und die sogenannten Interzonenzüge nach Köln, Aachen und München.
Das Verkehrsaufkommen und die Fahrgastzahlen am Potsdamer Hauptbahnhof waren bis 1989 so groß, das der Bahnhof oft am Limit angelangt war; mitunter mussten Züge vor dem Bahnhof halten und auf Einfahrt warten.
Nach 1989 und mit der Wiederherstellung der 1961 gekappten Verbindungen nach West-Berlin verlor der Bahnhof zunehmend an Bedeutung. Seit 1991 fuhren die Personenzüge wieder durch Berlin und ab dem 01.04.1992 fuhr die S-Bahn wieder von Potsdam über den Teltow-Kanal nach Berlin-Wannsee. Der Personenverkehr über Berlin musste nun nicht mehr über den Außenring abgewickelt werden. Folgerichtig wurde der gesamte Fernverkehr über diesen Bahnhof (der noch immer Potsdam Hauptbahnhof hieß) im Jahre 1991 eingestellt.
Für zwei Jahre hatte die brandenburgische Landeshauptstadt einen Hauptbahnhof, an dem keine Fernzüge hielten.
1993 wird der Bahnhof in Potsdam Pirschheide umbenannt, die Funktion des Potsdamer Hauptbahnhofes übernimmt der kleine Bahnhof Potsdam Stadt, der etwas später deutlich aus- und umgebaut wird und 1996 zum neuen Potsdamer Hauptbahnhof wird.
1994 schließen die Fahrkartenschalter im Bahnhof Pirschheide; die Geschäfte und die Gastronomie hatten den Bahnhof ohnehin schon verlassen.
1999 wird der gesamte obere Bereich stillgelegt, das Bahnhofsgebäude geschlossen. Von den 8 oberen Gleisen werden nur noch 2 für den durchgehenden Güterverkehr genutzt; am unteren Bahnhofsteil bleibt nur ein Gleis erhalten, auf dem stündlich eine Regionalbahn Richtung Beelitz fährt.
2012 wurde die ehemalige Eingangshalle zu einer Eventlokation umgebaut.
Das Gebäude des ehemaligen Stellwerkes ist verwaist, die Fenster mit Brettern verrammelt. Ironischerweise ist die Aufschrift Potsdam Hauptbahnhof noch gut zu erkennen.
Ein Streifzug über den oberen Teil des Bahnhofes versetzt einen in ein anders Land. Schön war der Bahnhof nie, nur funktional und immer voller Menschen. Die kleinen Wartehallen, die vor allem im Winter immer überfüllt waren, stehen noch.
Selbst die merkwürdig bunten Keramik-Fliesen am Sockel – typischer Stil der 1970er Jahre – sind noch erhalten. Vermutlich hat jemand ein trockenes Dach über dem Kopf gebraucht, und einen Teil der Bretterverkleidung abgerissen. So wird ein unvermuteter Blick ins Innere frei… ziemlich zugemüllt, aber man kann die umlaufende gemauerte Sitzbank noch erkennen.
Gleich daneben die Überreste einer Sitzbank auf dem Bahnsteig – auch hier ist die typische Bauweise der DDR zu erkennen – drei kleine Betonstützen für die Bretter. Fast ein kleines Wunder, das die metallenen Überreste des Abfalleimers noch dort stehen.
Die Gleise an den Bahnsteigen wurden schon vor langer Zeit entfernt; übrig blieb nur das Schotterbett des Bahndammes. Irgendwann folgten die Dächer der Bahnsteig-Überdachung. So stehen nur noch die Stahlträger, die wie urzeitliche Skelette längst ausgestorbener Tiere anmuten.
Interessant ist ein Blick in eine ehemalige Verkaufsbude auf dem Bahnsteig, die von außen genauso aussieht, wie die Wartehalle. Hier steht sogar noch ein kleiner Kohleofen! Im Wesentlichen gab es hier nur Bockwurst und Kaffee zu kaufen.
Die bahnsteigseitige Treppe zur Unterführung, die die oberen Bahnsteige verbindet und in die Empfangshalle führte, ist nicht vermauert. Erstaunlich, wie schnell sich die Natur die menschlichen Bauten zurück erobert.
Der Treppen-Aufgang – gut zu erkennen sind die gelblichen Betonfliesen links und rechts der Treppe – typischer DDR-Bahnhofs-Baustil! Selbst das Treppengeländer hat noch überlebt!
Unten, im Tunnel und vor den Aufgängen zu den Bahnsteigen, sind noch die Überreste der Anzeigetafeln tschechischer Bauart zu erkennen. Hier wurde das Innenleben inzwischen geplündert – vermutlich von Bahn-Souvenir-Jägern.
Für den Fall, das die halb-elektronische Anzeigetafel streikte (was auch vorkam), war natürlich auch der gedruckte Fahrplan verfügbar – hinter Glas in einem Schaukasten aus Holzrahmenkonstruktion – zumindest in diesem Bereich hat sich im Vergleich zu heute nicht so viel geändert.
Der Zustand des Tunnels ist ziemlich desaströs, heruntergekommen, beschmiert, demoliert. Die Farbe löst sich von den Wänden, der Boden ist voller Schutt und Müll; dennoch ist die Funktionalität der Anlage noch zu erkennen.
Am Ende des Ganges ist die gemauerte Wand erkennbar, die den Zugang zur Haupttreppe versperrt, die in das Empfangsgebäude führte. Das Licht am Ende des Tunnels stammt hier vom Treppenaufgang zum anderen Bahnsteig.
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