U-Verlagerung Antimonit (Neubrandenburg)

Zu Beginn der 1930er Jahre war der Neubrandenburger Datzeberg ein unbebauter Hügel im Norden der Stadt. Ein beliebtes Ziel für Sonntags-Ausflügler. Zu seinen Füßen ein kleiner Bach, der dem Hügel seinen Namen gab: Datze. Direkt am Fluss und an der Bahnlinie, die Neubrandenburg mit Friedland verband, entstand ab 1934 das industrielle Herz der Stadt. Hier siedelte sich vor allem das Rüstungs-Unternehmen von Curt Heber an, das später den Namen Mechanische Werkstätten Neubrandenburg führte. Hier wurden unter anderem Zielgeräte für Bombenabwurfgeräte und Maschinengewehre in großem Umfang produziert.

Die Produktionsanlagen erstreckten sich über ein großes Gelände östlich der Demminer Straße und südlich der Bahnstrecke nach Friedland.

Da Neubrandenburg nie Ziel eines alliierten Bomberangriffes war (und auch im „Bombers Baedeker“ kaum Erwähnung fand – es fehlen hier insbesondere Hinweise auf die Mechanischen Werkstätten und die Torpedoversuchsanstalt), wähnte man sich hier relativ sicher vor Luftangriffen.

Erst gegen Ende des Krieges, Ende 1944, wurde versucht, Planungen zu einer bombensicheren Unterbringung der Produktion der Mechanischen Merkstätten umzusetzen.

Geplant war der Bau einer Stollenanlage im Datzeberg, der unmittelbar an das Produktionsgelände, die Bahnstrecke und ein Lager des Reichsarbeitsdienstes grenzte. Das Vorhaben trug den Decknamen ANTIMONIT.

Der Süd-Hang des Datzeberges war recht steil und schien geeignet für ein derartiges Vorhaben.

Belegt ist, dass erste Erdarbeiten im Winter 1944/1945 unter dem Einsatz von polnischen Zwangsarbeiterinnen begannen, die „in kalten Winternächten oder im Schneetreiben bei Laternenlicht mit Spitzhacken die hart gefrorene Erde [hackten] und im unwegsamen Gelände in Loren und Karren weiter [transportierten]“

Vermutlich wurde an mehreren Stellen versucht, Stollen in den Berg zu treiben. Der Stollenausbau sollte mit großen Betonfertigteilen erfolgen. Fertig wurde diese Anlage jedoch nie – vermutlich war der Aufwand viel zu groß, Material und Arbeitskräfte fehlten. Wie weit der Stollenvortrieb vorankam und wie viele Tunnel-Mundlöcher existierten, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Längst sind die Eingänge verschlossen und die Natur hatte 75 Jahre Zeit, sich ihr Territorium zurück zu erobern.

Die ehemaligen Eingänge befinden sich heute auf Privatgrundstücken – auf einem steht noch heute ein riesiges bogenförmiges Betonfertigteil. Leider ist es von einer Plane verdeckt und dient vermutlich als Geräteschuppen.

Neubrandenburger „urban legends“ berichten davon, dass der ganze Datzeberg von einem riesigen Bunker – oder Stollensystem durchzogen sei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist dies jedoch nicht der Fall. Die Baumaßnahmen an der U-Verlagerung Antimonit wurden recht schnell wieder eingestellt – vermutlich zugunsten der Produktionsverlagerung in das sogenannte Waldbau-Lager (wahrscheinlich U-Verlagerung Antimonit II). Auf dem Datzeberg selbst wurden Flak-Stellungen errichtet und Luftbeobachtungstürme – beides hauptsächlich zum Schutz des Fliegerhorstes Trollenhagen (und weniger zum Schutz der Neubrandenburger Rüstungsindustrie). Die Überreste aller dieser Anlagen nach dem Ende des 2. Weltkrieges (einschließlich der Überreste einiger Eiskeller der Brauerei an den Hängen des Datzeberges) trugen vermutlich zur Legendenbildung bei.

Die Geschichte dieser U-Verlagerung und der Bauten rund um den Neubrandenburger Datzeberg ist bis heute wenig erforscht. Zu sehr scheint die jüngere Geschichte an die Verstrickungen Neubrandenburgs in Rüstung und Zwangsarbeit zu erinnern.

Quellen:

[Hrsg.] Foreign Office & Ministry of Economic Warfare „The Bombers Baedeker. Guide to the Economic Importance of German Towns and Cities“, 2nd edition, 1944

Schulze, Michael „Gebietsmitte Datzeberg. Bestand – Neuausrichtung – Planung“, Masterthesis im Studiengang Landschaftsarchitektur und Grünflächenmanagement an der Hochschule Neubrandenburg, 2017

Stamp, Dr. Friedrich „Zwangsarbeit in der Metallindustrie 1939 – 1945. Das Beispiel Mecklenburg Vorpommern“, Studie im Auftrag der Otto-Brenner Stiftung, Berlin 2001 (Arbeitsheft Nr. 24)

zeitlupe – Stadt.Geschichte & ErinnerungSpurensuche digital – Zwangsarbeit in Neubrandenburg. Berichte von Zeitzeug*innen (ein Projekt der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern e. V. , gefördert von der Freudenberg Stiftung) – Zeitlupe Minus NB Punkt de

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