NVA – RA-8 Goldberg

Der Kalte Krieg und seine Auswirkungen waren bis in das kleine, verschlafene mecklenburgische Städtchen Goldberg zu spüren. Im Jahre 1959 waren in der damaligen Sowjetunion im Zuge des technischen Fortschrittes  „Raketengruppen taktischer Bestimmung“ formiert und Raketen auf dem Gebiet der DDR stationiert worden. Die politische „Großwetterlage“ dieser Zeit war äußerst brisant – die Militärbündnisse NATO und Warschauer Vertrag standen sich schwer bewaffnet gegenüber, die Nahtlinie ging quer durch Deutschland. 1960 (das Jahr, in dem der amerikanische Pilot Gary Powers bei einem Spionageflug über der Sowjetunion mit Raketen abgeschossen wurde) regte der sowjetische Verteidigungsminister an, alle Mitglieder des Warschauer Vertrages mit Raketensystemen auszustatten. Dazu mussten auch in der NVA die Voraussetzungen geschaffen und Personal ausgebildet werden. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR entschied, in den Jahren 1962 und 1963 eine Brigade für Boden-Boden-Raketen aufzustellen und  in sechs Divisionen der Landstreitkräfte Raketenabteilungen aufzustellen. Zudem wurde im September 1961 ein Regierungsabkommen  über die Lieferung der Raketensysteme und die technische Hilfeleistung beim Betrieb dieser Systeme zwischen der DDR und der Sowjetunion abgeschlossen.

Im Jahr 1962 wird – als Teil der neu aufgestellten Raketentruppen in der NVA – die selbständige Artillerieabteilung-8 in Brück aufgestellt und der 8. Motorisierten Schützendivision (8. MSD) unterstellt. 1963 verlegt die selbständige Artillerieabteilung-8 nach Schwerin, wo sich auch der Stab der 8. MSD befand.  Am Standort Brück wird im Februar 1963  noch die selbständige Artillerieabteilung-1 aufgestellt; etwas später wird am logistisch gut erschlossenen Standort  in Brück die Raketentechnische Basis – 2 (in der die Raketen-Technik aus der Sowjetunion angeliefert und von dort an die Truppenteile der NVA ausgeliefert wird) entfaltet. Im November 1964 werden die Raketentruppen der 8. MSD gemeinsam mit dem Panzerregiment-8 in eine neu gebaute Kaserne nach Goldberg verlegt.

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Ein besonderes Fundstück im Kasernengebäude

Im Oktober 1967 erfolgte eine Umbenennung – aus der selbständigen Artillerieabteilung-8 wurde die Raketenabteilung-8. Damit war klar: geschossen wurde hier nicht mit Artillerie, sondern mit Raketen.

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Mobile Startrampe für Raketen vom Typ „Luna-M“; dieser Typ war auch in Goldberg stationiert. Das auf das Bild gebannte Exemplar befindet sich im Technik-Museum Pütnitz.

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Bei diesen Raketen handelte es sich um ungelenkte ballistische Kurzstrecken-Raketen, sogenannte Boden – Boden-Raketen russischer Bauart (Typ „Luna-M“) – vom Boden aus gestartet zur Bekämpfung von Zielen am Boden. Die Sprengköpfe waren standardmäßig konventionell; im Konfliktfall hätten die Raketen aber auch mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden können, die dann von den sowjetischen Truppen der GSSD zur Verfügung gestellt werden sollten – die NVA (und die DDR) hatten keine Nuklearwaffen und auch keinerlei Verfügungsgewalt über die auf dem Territorium der DDR stationierten Nuklearwaffen der Sowjetunion.

Zunächst bestand die RA-8 nur aus 3 Batterien. Nach einer Strukturänderung  im Mai 1968 wurde die Feuerkraft um eine Batterie aufgestockt, und die unterstützende Truppen- Struktur angepasst:

  • Stab
  • 4 Batterien: 1. / 2. / 3. / 4.  Batterie
  • Nachrichtenzug
  • Stellungsbaugruppe
  • Rückwärtige Dienste
  • Technischer Zug, bestehend aus Instandsetzungsgruppe und Transport- und Umladegruppe

Als mobile selbst fahrende Startrampe für die Raketen wurde das russische System 9P113 genutzt.

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Ab 1967 war die Standard – Bewaffnung die russische Kurzstreckenrakete vom Typ 9M21 „Luna-M“ (NATO-Bezeichnung „FROG-7“). Sie war mit einem Feststofftriebwerk ausgestattet und hatte eine Reichweite von 68 km.

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Auf dem großen Goldberger Kasernengelände war die Technische Zone der Raketenabteilung-8 noch einmal besonders gesichert – mit Zaun und Wache.

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In der großen Halle für die Fahrzeuge hatte jedes Fahrzeug seinen bestimmten Platz; die nummerierten Plätze für die mobilen Startrampen sind noch heute sehr gut zu erkennen.

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Für Ausbildungszwecke standen bestimmte Bereiche innerhalb der Hallen zur Verfügung. Reste von taktischen Angaben zu den Raketen, den Triebwerken, zum Zündmechanismus oder zum Zielen kann man an einigen Wänden noch erkennen.

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Vermutlich wurden die meisten Angaben auf den Wänden im Zuge der Auflösung der Raketenabteilung bewusst unkenntlich gemacht.

Aufgrund der Reichweite der Raketen waren Schießübungen auf den Truppenübungsplätzen der DDR nicht bzw. nur sehr begrenzt möglich – diese waren einfach zu klein. Regelmäßigen Schießübungen fanden deshalb auf dem kasachischen Staatspolygon in Kapustin Jar statt; die Hin- und Rückfahrt per Bahn wurde als Bahnverlege-Übung genutzt, war jedoch aufgrund ihrer Dauer für alle Beteiligten sehr strapaziös. Für die Raketenabteilung- 8 fand das letzte „scharfe Schießen“ im März 1989 in Kapustin Jar statt.

Der Fuhrpark für jede Raketenabteilung war beachtlich. Neben den 4 mobilen Startrampen (mit jeweils einer Rakete bestückt) waren außerdem erforderlich: mehrere Raketentransportfahrzeuge (mit jeweils 3 Raketen); ein Vermessungsfahrzeug (russische Bauart vom Typ GAZ); zwei Spezialfahrzeuge für den Transport der Gefechtsköpfe; zwei Autodrehkräne zum „Nachladen“ der mobilen Abschussrampen und zwei mobile Führungsstellen (LKW mit Kasten-Aufbau) mit Generator-Anhänger.

Etwa ab Beginn der 1980er Jahre galt das Raketensystem „Luna-M“ als veraltet. Tatsächlich wurde die Produktion (in der Sowjetunion – als einzigem Zulieferer der Raketen) ab Mitte der 1980er Jahre eingestellt. Die war jedoch streng geheim, und „in der Truppe“ nicht bekannt. Hier kamen nur neue Richtlinien für die Verlängerung der Lagerfähigkeit der Raketen und ihrer Komponenten an.

Neue Raketentechnik (Typ 9M79 „Totschka“, NATO-Bezeichnung: SS-21 Scarab) wurde schrittweise ab 1983 in der NVA eingeführt. Jedoch nur in geringen Stückzahlen. Zur Einführung neuer Technik kam es in Goldberg nicht mehr.

Ab Dezember 1989, als sich der Weg für die Deutsche Einheit und somit das Ende von DDR und NVA klar abzeichnete, wurden die Raketen und die mobilen Abschussrampen an die Raketentechnische Basis nach Brück transportiert. Von dort gingen die Raketen per Bahn zurück in die Sowjetunion, die Transportfahrzeuge wurden an die 27. Raketenbrigade der GSSD (bzw. WGT, wie sie nun hießen) an deren Standort Neues Lager (bei Jüterbog) übergeben. Ab April 1990 gab es keinerlei Raketentechnik mehr in Goldberg.

Auch für den Kasernenstandort Goldberg hatte niemand mehr Verwendung.

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Quellen:

BArch DVH 22-14 „Bestandsübersicht“

Hall, Peter „Raketenabteilung-8 (RA-8)“ online unter perterhall Punkt de

Hertwig, Jörg „Raketen- und Waffentechnischer Dienst im Kdo. MB III. Raketentechnische Basis-2 – Chronik“, 2014, online unter rwd minus mb3 Punkt de

[Hrsg.] Schmidt, Kurt / Hall, Peter „Die Raketentruppen der NVA-Landstreitkräfte“, 2022

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