Wiesbaden – Ziegelei Nath & Oeder

Versteckt im Wald versucht ein Schornstein sich gegen die hoch wachsenden Bäume durchzusetzen. Viel mehr ist auch von der Hauptstraße aus nicht zu sehen. Zu viel Zeit hatte die Natur, sich hier alles zurück zu erobern.

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Zugewuchert ist die alte Kopfsteinpflasterstraße, die einst zu dem Gelände führte. Wo einst ein Tor war, versperrt hüfthohes Gras und dichtes Buschwerk, garniert von einem maroden Bauzaun, den Weg.

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Schon beim näher kommen offenbart sich der marode Zustand des Geländes auf den ersten Blick. Müll und Verfall, Graffities in unübersehbaren Ausmaßen.

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Noch am besten erhalten scheint der Trafo- Turm für den Strom-Anschluss zu sein. Auch wenn die Leitungen längst gekappt und alles von Wert entfernt wurde.

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Der Blick in das Innere – die Tür steht sperrangelweit offen – offenbart eine scheinbar noch intakte eiserne Leiter nach oben. Wer weiß schon, wer sich dort auf der ersten Plattform eingenistet hat…

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Das ganze Gelände sieht so aus, als würde es regelmäßig Besuch erhalten. Darauf deutet auch eine gewisse Örtlichkeit hin, die sich etwas verschämt in einer Ecke versteckt..

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Besprühte Wände sind hier all gegenwärtig. Und Müll. Und Autoreifen. Dies scheint der rote Faden für dieses verfallene Gelände zu sein. Gnädigerweise deckt zumindest im Sommer das hohe Gras vieles zu.

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Ein absolut surreales Bild bietet sich am ehemaligen Herzstück des Geländes: am Ringofen-Gebäude mit dem Schornstein. Das Dach über dem Ringofen ist eingefallen und der Zeitpunkt des endgültigen Zusammenbruchs wurde auf eine absolut provisorische Weise nur nach hinten verschoben.

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Wenigstens ist der Ringofen noch zu erkennen. Kaum vorstellbar, das es sich hier um ein technisches Baudenkmal handelt. Der sogenannte Hoffmannsche Ringofen (obwohl Herr Hoffmann den Ringofen nicht erfunden hatte, sondern diesen nur hat unrechtmäßig patentieren lassen) bildete einst das Kernstück dieser Ziegelei, die bis 1969 unter der Firma Ringofenziegelei Nath und Oeder betrieben wurde.-

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Wiesbadens Bauboom – vor allem im 19. Jahrhundert – bedurfte eines bestimmten Baumaterials: Ziegel. Diese wurden in Ziegeleien gebrannt, von denen es im Raum Wiesbaden um das Jahr 1900 mehr als 20 gab. Die notwendigen Rohstoffe gab es zur Genüge: Holz, Wasser und lehmhaltige Böden. Die erste Ziegelei im Wiesbadener Raum entstand bereits im 16. Jahrhundert. Damals war das Herstellen der Ziegel (Rohstoffe aufarbeiten, Rohlinge herstellen, brennen) reine Handarbeit.

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Aus dem 19. Jahrhundert stammt auch die Bierstädter Ringofenziegelei Nath & Oeder GmbH. Neben einer Tongrube gelegen, den Wald und einen Bach vor der Tür, boten sich ideale Voraussetzungen. Baulich war sie auf dem damals neuestem Stand der Technik. Die Brennkammern wurden nach dem Prinzip des 1839 erfundenen Ringofens angelegt. Mehrere Brennkammern waren dabei um den Schornstein gruppiert; jede Brennkammer konnte separat befüllt, beheizt und entleert werden, was eine kontinuierliche Ziegelproduktion erlaubte, höhere Stückzahlen und damit geringere Preise. Die industrielle Revolution und die Ziegel-Massenproduktion führte zu einem Bauboom an modernen Ziegelbauten; für einen Zeitraum von mehr als einhundert Jahren war es der Baustoff schlechthin.

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Erster Weltkrieg und die folgende Wirtschaftskrise mit geringer Nachfrage nach Baumaterialien führte dazu, das mehr als die Hälfte der Wiesbadener Ziegeleien schlossen. Mit dem Siegeszug des Betons im Bauen erhielt die herkömmliche Ziegelbauweise ernsthafte Konkurrenz. Eine kurze Hochphase nach dem zweiten Weltkrieg konnte das endgültige Aus für die Ziegeleien nur verzögern.

Die Ringofenziegelei Nath und Oeder stellte ihren Betrieb 1969 ein. In den 1970er Jahren wurde das Gesamtensemble der Ringofenziegelei unter Denkmalschutz gestellt.

Ein neuer Pächter nutzte ein ehemaliges Verwaltungsgebäude als Wohnhaus und errichtete in einigen Gebäudeteilen einen Betrieb zur Reparatur von Landmaschinen.

Heute ist das ehemalige Wohnhaus, das im vorderen Bereich die Wohnung und im hinteren Bereich einen Werkstattbetrieb beherbergte, in einem ebenso beklagenswerten Zustand, wie das gesamte Gelände. Die Reste der Dachterrassen in der ersten Etage kann man von außen zumindest noch erkennen.

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Auch hier beschmierte Wände überall. Ein kleines Wunder, das in einem Raum noch die Holzpaneele der Wand- und Deckenverkleidung zu einem großen Teil erhalten sind. Ein voyeuristischer Blick in das ehemalige Badezimmer. Eine Wand aus lichtdurchlässigen Glas-Steinen sorgte hier bestimmt für eine besondere Atmosphäre – eine Schande, das auch hier blinder Vandalismus wütete – von alleine ist die Wand sicher nicht eingefallen.

Auf dem Weg in den rückwärtigen Teil des Gebäudes fällt der Blick auf noch sehr gut erhaltene Bodenfliesen in einem anderen Raum; ein Autoreifen wurde hier vermutlich von „Besuchern“ als Sitzmöbel verwendet. Eine Treppe führt durch die Reste einer Glastür in den Werkstattbereich.

Auch wenn sich durch den Sonnenstand ein doch recht spektakuläres Fotomotiv ergab, der Zustand des Gebäudes ist ruinös.

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Im ehemaligen Verladebereich der Ziegelei sind noch die Reste einer Krananlage an der Decke erkennbar. Eine Holztreppe, die nach oben zu einem kleinen Bürobereich führte, ist inzwischen völlig demoliert. Die Reste an den Trägerbalken sehen aus, als wären sie abgesägt worden. Hier befindet man sich wahrscheinlich in einem der älteren Bereiche des Gebäudes – die Holzständerbauweise ist unverkennbar.

Reste der elektrischen Anlage verdeutlichen noch einmal: hier geht nichts mehr…

Wegen Einsturzgefahr wurde das gesamte Gelände 2008 aufgegeben und steht seit dem leer. Wie zum Hohn liegt irgendwo auf dem Gelände ein Hinweisschild herum.

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Warum sich das gesamte, heute im Eigentum der Stadt Wiesbaden stehende, Gelände trotz Denkmalschutz in einem derartig desaströsem Zustand befindet, darüber kann man nur spekulieren. Fakt ist: das Gelände ist akut Einsturz gefährdet und wird vermutlich über kurz oder lang verschwunden sein…

 

Quellen:
Paletta, Inka „Verdrängt von Bims und Porenbeton“, Wiesbadener Kurier, 03.12.2017

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