Liegenschaften GSSD

Es klingt unglaublich, ist aber wahr: wie viele Liegenschaften und Objekte die russischen Streitkräfte auf deutschem Boden nutzten, ist nicht bekannt. Nicht einmal die oberste Führung der DDR wusste das genau. In einem Sitzungsprotokoll des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, das sich mit dem Stationierungsabkommen für die russischen Truppen auseinandersetzt, ist zu lesen:

Es wurde nicht erfaßt, welche Liegenschaften (Kasernen, Wohnungen, Flugplätze, Übungsgebiete, Verkehrsanlagen usw.) seit der Besetzung sich in Nutzung durch die sowjetischen Streitkräfte befanden. […] Eine zentrale Bearbeitung und Erfassung aller mit der Nutzung von Liegenschaften verbundenen Probleme wurde mit dem Abschluß des „Stationierungsabkommens“ und seiner Folgedokumente nicht festgelegt. Das ist auch der Grund dafür, daß es keine zentrale Übersicht über die von den sowjetischen Streitkräften genutzten Objekte gibt.

Insbesondere bei großflächigen Truppenübungsplätzen und Manövergebieten, von denen ernste Gefahren für Leib und Leben der Zivilbevölkerung ausging, herrschte Unklarheit.

Jahrelang widersetzte sich die GSSD den Bemühungen des Ministeriums für Nationale Verteidigung über diese Gebiete eine Übersicht zu verschaffen. Erst am 15. Januar 1988 gelang es, zwischen dem MfNV und der GSSD die erforderlichen Festlegungen zur Realisierung der Sperrgebietsverordnung vom 26. Juli 1976 zu treffen. Trotzdem wurde die vereinbarte Übergabe der Angaben über die eingerichteten Sperrgebiete bis Mitte März dieses Jahres (1988) nicht eingehalten.

Schild Verbotene Zone

Die russischen Truppen benahmen sich wie die Besatzer, die sie angeblich nie waren. Allein für das Jahr 1987 wurden seitens der DDR-Behörden eine Unmenge an Straftaten registriert, die von Angehörigen der russischen Truppen begangen wurden:

  • 755 Straftaten gegen sozialistisches Eigentum (meistens Diebstähle, insbesondere von Baumaterialien)
  • 49 Vergewaltigungen
  • 40 Raubüberfälle
  • 717 Verkehrsunfälle mit 28 Toten, 442 Verletzten bzw. schweren Sachschäden
  • 104 Fälle von Rowdytum

Eine Rechtsverfolgung der russischen Straftäter durch DDR-Behörden war in der Regel nicht möglich, meist gingen die Täter straffrei aus.

Auch der „normale“ militärische Alltag führte durch das Auftreten und Verhalten der Besatzungstruppen zu erheblichen Problemen und Gefährdungen – auch diese waren der DDR-Führung bekannt, allein sie wahren ohnmächtig gegenüber dem“großen Bruder“:

Ernste Gefährdungen für Sachwerte und Personen gehen von verschiedenen Übungsplätzen durch gröbliche Verletzungen von Sicherheitsbestimmungen aus. Ortschaften und Gehöfte wurden von Geschossen getroffen und Sachwerte beschädigt.

Anfahrtstraßen zu Übungsplätzen werden willkürlich gewählt, verändert und erweitert, so daß erhebliche Schäden an öffentlichen Straßen, landwirtschaftlichen Nutzflächen und selbst in Naturschutzgebieten entstehen. Die Grenzen von Übungsgebieten und Begrenzungen von Kasernenobjekten werden öfter erweitert.

Auf öffentlichen Mülldeponien werden Ausrüstungsgegenstände, Waffenteile und Munition abgelagert. Auf verschiedenen Deponien der DDR wurden z.B. 1985 Funde von 1.608 Stück MPi-Munition 5,4 mm, 2.462 Stück MPi-Munition 7,62 mm (das ist Munition für die Kalaschnikow – 30 Schuss passten in ein Magazin), 359 Stück Munition Kaliber 12,7; 14,5 und 28 mm; 50 verschiedene Granaten, 197 Minen, 4 Handgranaten und 4 „Raketen“ gemeldet. […]

Die Abwasserbehandlung durch die sowjetischen Streitkräfte ist als äußerst mangelhaft und umweltbelastend einzuschätzen. Eine Vielzahl der Anlagen ist funktionsuntüchtig, überlastet und wird nicht ordnungsgemäß betrieben.

In vielen Fällen treten […] durch Nichtabnahme vertraglich vereinbarter Lieferungen und Leistungen, Nichtanerkennung von Preisen, Nichteinhaltung von Zahlungsfristen und Nichtbezahlung von Rechnungen seitens der sowjetischen Dienststellen Probleme bei Betrieben und Einrichtungen der DDR auf. Aus Einzelinformationen geht hervor, daß es sich dabei in nicht wenigen Fällen um sehr hohe Rechnungsbeträge handelt. (Die russischen Besatzer zahlten ganz einfach ihre Rechnungen nicht…)

Und so weiter, und so weiter… schon erstaunlich, das sich der Nationale Verteidigungsrat erst im Jahre 1988 genötigt sah, sich mit diesem Thema zu beschäftigen – die Situation muss in Wahrheit noch viel schlimmer gewesen sein und die Situation unerträglich.

Der einfache DDR-Bürger erfuhr davon nichts!

Für die Kosten der russischen Besatzung musste die DDR aufkommen. So wurden z.B. im Zeitraum von 1967 bis 1988 aufgrund „zentraler Entscheidung“ aus Mitteln des Staatshaushaltes der DDR weitere 32.565 Wohnungseinheiten gebaut und […] zur unentgeltlichen Nutzung [der GSSD] zur Verfügung gestellt.

In den von der GSSD genutzten Kasernen-Objekten findet sich oft ein Sammelsurium an Bauten aus verschiedenen Epochen. Gern wurden 1945 vorgefundene Objekte nachgenutzt (z.B. der Flugplatz Damgarten oder die ehemalige Munitionsanstalt in Mockrehna) – diese Gebäude erkennt man an der soliden Bauweise im typischen 1930er Jahre Baustil mit gewissen optischen Verschönerungen. Diese Gebäude wurden vorzugsweise von Offizieren und deren Familien bewohnt oder als Offizierskasino oder Stabsgebäude genutzt.

Offizierskasino Flugplatz Damgarten

Russische Eigenkonstruktionen erkennt man den typischen weißen Ziegelbauten, bei der oft ohne Versatz ein Stein über den anderen gemauert wurde.

image-2019-05-14 (38)

Solidere Bauten, von DDR-Bauleuten errichtet, kann man ebenso gut erkennen – je nach Bauzeit im typischen Look der Neubauten.

1960er Kasernenneubau Flugplatz Damgarten

Materialknappheit herrschte immer – eine Vielzahl von Gebäuden waren primitivster Bauart und oft nicht mehr als Baracken.

image-2019-05-17 (11)

Die Verpflichtung der DDR, Transportleistungen für die GSSD zu besonders günstigen Bedingungen zur Verfügung zu stellen, überstieg bald die Möglichkeiten. Für das Jahr 1988 wurden 121.820 Güterwagen für die GSSD befördert – der Bedarf lag bei 122.100 Waggons. Etwa 100 GSSD-Standorte verfügten über Bahnanschlußgleise, für deren Instandhaltung die Deutsche Reichsbahn aufkommen musste – die russischen Streitkräfte zahlten dafür meistens nichts oder verweigerten berechtigte Zahlungen.

Pro Jahr wurde die DDR mit 800 Millionen DM (!) von den sowjetischen Besatzern direkt zur Kasse gebeten – als Beitrag zu den Stationierungskosten. Hinzu kommen noch weitere Kosten von ca. 120 Mio Mark der DDR (z.B. für die Beseitigung von Manöverschäden; Zahlungsausfälle durch nicht bezahlte Rechnungen für Strom, Gas, Wasser; Sonderkonditionen für Post- und Telekommunikation).

Unter dem Strich ist es sehr erstaunlich, das der nach außen zelebrierte Mythos von der deutsch-sowjetischen Freundschaft und der sozialistischen Waffenbrüderschaft so lange aufrecht erhalten werden konnte.

Wie chaotisch die Rückgabe aller Liegenschaften nach dem endgültigen Abzug der russischen Truppen aus der DDR im Jahre 1994 erfolgt sein musste, kann man nur erahnen. Schon zu DDR-Zeiten hat dies ja nicht funktioniert:

Die Rückgabe nicht mehr benötigter Flächen und Objekte ist hinsichtlich der Anforderungen an den Rückgabezustand ebenfalls nicht eindeutig geregelt. Manche Objekte wurden in einem sehr schlechten, nahezu demontierten Zustand übergeben und mußten mit hohem Aufwand wieder nutzbar gemacht werden, da von der sowjetischen Seite in einem bei weitem nicht ausreichenden Maße die Generalreparaturen und laufende Instandhaltung veranlaßt werden.

Daran hat sich auch bis zum Abzug der russischen Besatzer aus Deutschland im Jahre 1994 nichts geändert. Viele Objekte und Gebäude wurden regelrecht in den Rohbauszustand zurück versetzt. Es wurde alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest und irgendwie demontierbar war.

Lockwisch - 09 Stabs- und Wachbaracke - Mauerdurchbruch

Die Natur holt sich langsam alles zurück…

 

Noch bevor die russischen Truppen für immer aus Deutschland abzogen, wurde von Seiten der Umweltministerien der Länder im Jahre 1991 das sogenannte „WGT-Projekt“ initiiert. Ziel war, neben der Bewertung auf mögliche Altlasten und Umweltschäden zunächst die Erfassung aller Liegenschaften. Demnach wurden von der GSSD (bzw. der WGT – der Westgruppe der Truppen – wie sie nun hießen) in den Neuen Bundesländern 1.052 Liegenschaften mit einer Fläche von ca. 242.000 Hektar genutzt, davon:

  • 146 Truppenübungsübungsplätze
  • 406 Garnisonen
  • 80 Flugplätze
  • 147 Lager und Bunker
  • 42 Großtanklager

Erst nachdem die russischen Truppen abgezogen waren (August 1994) stellte sich nach und heraus, das noch viel mehr Liegenschaften genutzt wurden, als bis dahin bekannt oder geschätzt. Statt der bisherigen 242.000 Hektar waren es nun (mindestens) 290.000 Hektar. Nach russischen Angaben nutzte die GSSD / WGT im Jahre 1990 mehr als 777 Kasernenanlagen in 616 Ortschaften in der DDR (bzw. in deren Umgebung)! Auch die Anzahl der nun bekannt gewordenen Liegenschaften erhöhte sich auf 1.115 im Jahre 1994. Es liegt die Vermutung nah, das es in Wirklichkeit noch mehr waren – die GSSD hatte mehr als 1.300 Feldpostnummern auf dem Territorium der DDR….

Der Bund hatte den Bundesländern angeboten, sämtliche Liegenschaften unentgeltlich an die Bundesländer abzugeben. Dies schloss alle Altlasten mit ein. Angenommen haben das Angebot die Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die Bundesländer sind hier eigenverantwortlich für die Verwertung der Liegenschaften zuständig.

Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern haben das Angebot nicht angenommen. Hier werden die ehemaligen GSSD – Liegenschaften durch die Bundesvermögensverwaltung privatisiert.

Insbesondere die innerstädtischen Liegenschaften, wie Kasernen und Wohnhäuser, konnten auf Grund ihrer Bedeutung für die Stadtentwicklung zügig entwickelt und verwertet werden. Sie stehen nunmehr für Wohnungen, Büros, Gewerbe, öffentliche Verwaltungen und Bildungseinrichtungen zur Verfügung.

 

Quellen:

 Bundesarchiv – Militärarchiv, „Information über die Analyse des Abkommens vom 12. März 1957 zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik zusammenhängen – Stationierungsabkommen – sowie seiner Folgedokumente“, in:  „77. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates am 25. November 1988“, BArch, DVW 1 / 39538, S. 110 ff.

[Hrsg.] Landesamt für Umwelt Brandenburg, „Militärische Altlasten“, veröffentlicht unter lfu Punkt brandenburg Punkt de

Pfeiffer, Ingo „Do swidanija Germanija.Westgruppe der Truppen. Stationierung – Abzug – Hinterlassenschaften“, Berlin, 2021


 

GSSD – Flugplatz Brand

Von 1938 bis 1945 befand sich hier in der brandenburgischen Einöde unweit der Orte Briesen und Brand ein Feldflugplatz der Deutschen Wehrmacht. Im April 1945 zog die Rote Armee ein und blieb bis 1994. Aus dem kleinen Feldflugplatz entstand ab 1952 einer der ersten neu gebauten Militärflugplätze der Roten Armee auf deutschem Boden mit einer…

weiterlesen…

GSSD – Flugplatz Damgarten

Ein wirklich riesiges Areal am Saaler Bodden, ummauert, eingezäunt, abgesperrt, von grün umwuchert. Nach fast 60 Jahren militärischer Nutzung erobert sich die Natur viel zurück. Bekannt sind vor allem die auffälligen Hallen des ehemaligen Seeflugplatzes, der ab 1935 am nordwestlichen Ende am Ufer des Saaler Boddens auf der Halbinsel Pütnitz errichtet worden ist. Die Seefliegerschule…

weiterlesen…

GSSD – Munitionslager Mockrehna 3732 ASB

Das Ende des zweiten Weltkrieges kam für die Region westlich der Elbe bei Torgau in Gestalt von amerikanischen Truppen. Im April 1945 schien es keinen nennswerten deutschen Widerstand mehr gegeben zu haben zwischen Elbe und Mulde. In der Nähe der Dörfer Strelln und Mockrehna fiel die Luftwaffen-Hauptmunitionsanstalt nebst einer Abfüllstelle für chemische Kampfstoffstoffe den Amerikanern kampflos…

weiterlesen…

GSSD – Funkmessposten 631 Damgarten

  Ganz im Süden des riesigen Areals des Aerodroms Damgarten befindet sich die Radarstellung mit ihrer Technische Zone und dem Unterkunftsbereich. Das gesamte Gelände sieht aus wie im Urwald – dichter Wald, hüfthohes Gras, Dornengestrüpp. Wegen des feuchten Untergrundes wurden Wege auf Dämmen angelegt und die Gebäude stehen etwas erhöht auf Erdaufschüttungen. Die wenigen Betonplattenstraßen enden…

weiterlesen…

GSSD – Funkmessposten 613 Lockwisch

Lockwisch – ein kleines Dorf in Mecklenburg. Hier, unweit der ehemaligen innerdeutschen Grenze, und bis 1989 im Sperrgebiet gelegen, zu dem kaum jemand Zugang hatte, versteckt sich ein kleiner und gut erhaltener Lost Place. Nicht allzu schwer zu finden, obwohl er sich eng an einen kleinen Hügel schmiegt und inzwischen von viel grün zugewachsen ist.…

weiterlesen…

GSSD – Schießplatz Gägelow

Wichtiger Hinweis! Auf Wunsch des derzeitigen Grundstückseigentümers wurden alle Bilder aus diesem Beitrag am 01.08.2022 entfernt. Der Beitrag selbst wurde drastisch gekürzt und dient – auch in dieser Kurzform – ausschließlich der historischen Dokumentation bzw. des Erinnerns an die Geschichte dieses Ortes. Er stellt in keinem Fall eine Aufforderung dar, das Gelände unerlaubt zu betreten.…

weiterlesen…

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..