Mineralölsicherungsplan – Ölschieferverschwelung – Unternehmen Wüste

Der verzweifelte Versuch Nazideutschlands, die Knappheit an Öl und Benzin zu beseitigen, um die Kriegsmaschinerie am laufen zu halten, zeigt sich in den Unternehmen mit der Tarnbezeichnung „Wüste“.

Die Grundidee war, aus ölhaltigem Schiefer durch verschiedene Verfahren das Öl zu extrahieren und dieses zu Benzin und anderen Treib- und Schmierstoffen weiter zu verarbeiten. Derartiges wurde mit Erfolg bereits in Estland praktiziert. Allerdings war der Ölgehalt des estnischen Schiefers deutlich höher.

Reiche Vorkommen an oberflächennahem ölhaltigem Schiefer befanden sich am Trauf der Schwäbischen Alb. Zunächst wurden (nach der vorangegangenen geologischen Erkundung) ab 1942 Versuchsanlagen errichtet, um verschiedene Technologien zu testen und weiter zu entwickeln.

Das technologisch einfachste Verfahren ist das Meilerverfahren. Dieses wurde zunächst an den Standorten Metzingen und Schömberg von der Deutschen Ölschiefer-Forschungsgesellschaft (DÖLF) getestet und weiter entwickelt. Beim 1943 vom Chemiker Dr. Kurt Sennewald entwickelten Meilerverfahren wird der Ölschiefer im Tagebau-Verfahren zunächst gebrochen und zu großen Halden aufgetürmt, unter denen Rohre verlegt wurden. Die Ölschiefer-Halden wurden angezündet und mit Erde überdeckt. Durch den Schwelbrand gasen die ölhaltige Dämpfe aus und es entsteht zusätzlich eine Teer- und ölhaltige Flüssigkeit. Die Dämpfe wurden kondensiert. Technologisch war das Verfahren im Detail noch nicht ausgereift und völlig ineffizient. Die Bauarbeiten in Schömberg begannen im Oktober 1943; im Juli 1944 wurde der erste Meiler in Betrieb genommen, der kontinuierlich durchlief.

Um eine Vorstellung von der Größe zu bekommen: Im Februar 1945 wurde der 300 Meter lange (!) Meiler auf dem Erzinger Geischberg (Wüste IV) angezündet – der Meiler schwelte mehrere Monate bis weit nach Kriegsende!

Eine Variante des Meilerverfahrens war das Schachtofenverfahren, das ab Februar 1943 am Standort Frommern getestet werden sollte. Extra dafür wurde 1942 die LIAS-Ölschieferforschungsgesellschaft gegründet. Ziel war die Entwicklung eines Schwelverfahrens im industriellen Maßstab. Technologisch sollte hier das sogenannte Lurgi-Schweizer-Verfahren angewendet werden. 1944 wurde mit dem Bau einer sogenannten Schwelhalle begonnen, die Platz bot für 2 Reihen mit jeweils 12 senkrechten Öfen. Die Öfen waren etwa 6,50 m hoch und hatten einen Durchmesser von drei Metern, in denen die Verschwelung stattfinden sollte. Theoretisch sollte die Anlage 1.000 Tonnen Ölschiefer täglich verarbeiten. Sie wurde jedoch bis Kriegsende nicht fertig. Nach Kriegsende wurde unter Regie der französischen Besatzer das Werk nicht etwa demontiert, sondern – unter dem Einsatz Deutscher Kriegsgefangener – weiter aufgebaut und 1947 mit zunächst 5 Öfen in Betrieb genommen. 1948 wurde eine monatliche Produktionsleistung von 500 Tonnen Schieferöl erreicht. Erst im November 1949 wurde das Werk still gelegt. Bis dahin wurden hier Treibstoffe, Paraffine, Heizöl, Bitumen, Farben, Lacke und Kunstharz hergestellt. Das Verfahren hatte seine prinzipielle Tauglichkeit bewiesen, auch wenn es teuer und umweltschädlich war. Der ehemalige Schieferbruch in Frommern war schon 1950 mit Wasser vollgelaufen und wurde danach zu großen Teilen zugeschüttet. In der ehemaligen Schwelhalle befindet sich heute eine Eventlocation.

Untertägige Ölschieferverschwelung wurde im Großversuch in Schörzingen getestet. Die 1943 vom Kohlewerstoff-Verband der Großdeutschen Schachtbau GmbH gegründete Kohle-Union von Busse KG führte zunächst im Ölschieferbruch Göppingen – Holzheim Kleinversuche in Horizontal- und Vertikal-Verschwelung durch. Hinter dem „Kohlewertstoff-Verband“ standen die Mannesmannröhren-Werke AG und der Staatskonzern AG Reichswerke Hermann Göring. Die Vertikalverschwelungen in senkrechten Schächten unter Tage führten weder in Holzheim noch in Schörzingen zum Erfolg. Bei der Horizontalverschwelung war geplant, zwei übereinander liegende Strecken aufzufahren, eine zwei Meter mächtige Schicht des Schiefers zu gewinnen und diese durch Sprengung in der unten liegende Strecke zu platzieren. Die Schwelung selbst sollte so erfolgen, dass das der Schiefer von der oberen Strecke gezündet wird und die Gase nach der unteren Strecke abgeleitet und dort kondensiert werden. Zur Zündung experimentierte man mit heißen Gasen und mit elektrischem Strom. Bei den Schwelversuchen gewann man in Schörzingen etwa die Hälfte des theoretischen Ölgehalts von 5%. Das Schwelgut wurde bei den Versuchen jedoch von Hand eingebracht, und nicht wie geplant, schnell und großvolumig durch Sprengung der Ölschieferschichten. Von einer industriell nutzbaren Technologie war man hier noch weit entfernt.

Der offizielle Startschuss für das „Unternehmen Wüste“ – die Errichtung von zehn Produktionsstätten zur Herstellung synthetischer Treibstoffe aus ölhaltigem Schiefer mittels Meilerverfahren fiel am 15. Juli 1944 auf einer Sitzung im Planungsamt für Rüstungsindustrie. Obwohl das technische Verfahren noch nicht ausgreift war (wie dessen Erfinder Dr. Sennewald feststellte – der erste Testmeiler war ja gerade erst in Betrieb gegangen), wurden irrwitzige Zeitvorgaben aufgestellt. Schon am 15. Oktober 1944 sollten alle Werke in Betrieb gehen (ohne Brecher- und Siebanlagen), am 15. Dezember 1944 sollten sie vollständig fertig sein – so die Vorgabe. Jedes Werk sollte pro Jahr 15.000 Tonnen Öl liefern. Das „Unternehmen Wüste“ war Bestandteil des Programms zur Sicherung der Treibstoffversorgung (sogenanntes Geilenberg-Programm), kriegswichtig; und die Zeit drängte. So wurde dem Erfinder des Meilerverfahrens, Dr. Sennewald, vorgeworfen, er würde die Schieferölproduktion nur vom Standpunkt des Forschers aus betrachten und nicht vom Standpunkt der kriegsbedingten Notwendigkeit.

Ab September 1944 wurden unter dem menschenverachtenden Einsatz von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen entlang der Bahnstrecke von Tübingen über Balingen nach Reutlingen zehn Produktionsanlagen aus dem Boden gestampft.

Zur Anwendung kam bei allen diesen Wüste-Werken das Meilerverfahren. Vor allem aus Kosten-, Zeit- und Materialgründen. Oft wurde mit primitivsten Mitteln, einfachsten Materialien und viel Handarbeit die Produktionsstätten errichtet. High Tech war dies ganz sicher nicht! Von der Einhaltung der unrealistischen Zeitvorgaben für die Inbetriebnahme war man genauso weit entfernt, wie von den geforderten Produktionsmengen. Fertig wurden die meisten der Wüste – Werk bis zum Kriegsende nicht mehr.

Eine Baugrube im Bereich des Werkes Wüste I in Dußlingen könnte nach 75 Jahren einige Fundamentreste zu Tage gefördert haben, wie sie auf dem historischen Foto in der unteren Bildhälfte zu erkennen sind.

Wüste I - Dusslingen 11

Für jedes der Wüste-Werke war eine „Belegschaftsstärke“ von 250 Mann vorgesehen, um einen 24-Stunden-Dauerbetrieb umzusetzen. Für sämtliche Baumaßnahmen wurden vorrangig Tausende Häftlinge eingesetzt. In sieben KZ-Außenlagern, die eigens für diese Produktionsstätten in kürzester Zeit errichtet wurden, kamen innerhalb von kurzer Zeit mehr als 3.000 Menschen ums Leben.

Unter widrigsten Bedingungen wurden die Arbeiten an den zehn Werken vorangetrieben.

  • Wüste I – Dußlingen / Nehren – Bauarbeiten bis Kriegsende
  • Wüste II – Bisingen – in Betrieb gegangen 24.Februar 1945
  • Wüste III – Balingen – Engstlatt – Bauarbeiten eingestellt Februar 1945
  • Wüste IV – Balingen – Erzingen (Geischberg) – in Betrieb gegangen Februar 1945
  • Wüste V – Balingen – Erzingen (Bontalbach) – Bauarbeiten eingestellt Februar 1945
  • Wüste VI – Dautmergen – Bauarbeiten eingestellt März 1945
  • Wüste VII – Dormettingen – Bauarbeiten eingestellt Anfang 1945
  • Wüste VIII – Dotternhausen – in Betrieb gegangen März 1945
  • Wüste IX – Schömberg – in Betrieb gegangen März 1945
  • Wüste X – Zepfenhahn – Bauarbeiten eingestellt Februar 1945

Zumindest auf dem Papier waren die verschiedenen Versuchsanlagen und Standorte in das „Unternehmen Wüste“ integriert (Nummerierung nicht gesichert):

  • Wüste XI – Frommern (LIAS – Schachtofenverfahren) – ging erst 1947 in Betrieb
  • Wüste XII – Testmeiler Schömberg DÖLF
  • Wüste XIII – Testmeiler Metzingen DÖLF
  • Wüste XIV – Schörzingen Versuchsanlage Untertageverschwelung Kohle-Union von Busse KG
  • Wüste XV – Dotternhausen (Portlandzementwerk) – hier steht jedoch nicht die Schieferölgewinnung im Vordergrund; der Ölschiefer wird vorrangig zur Energiegewinnung verfeuert und die Reste als Zuschlagstoff für die Zementherstellung verwendet

Wie unrentabel die Ölgewinnung aus dem hier geförderten Ölschiefer war, zeigt die Bilanz des Testmeilers der DÖLF in Schömberg. Dieser ging im Juli 1944 in Betrieb und produzierte im Zeitraum Dezember 1944 bis März 1945 gerade einmal 273 Tonnen Öl und 86 Liter Benzin – bei einem Materialeinsatz von 26.220 Tonnen Schiefer. Dies war nur möglich unter massivem Einsatz von manueller Arbeit – in diesem Fall waren es 73.401 Manntage, die durch Häftlinge erbracht wurden und 9.371 Manntage von Zivilarbeitern. Wie viele Menschen dabei ums Leben kamen, erfasste die Statistik nicht.

In den letzten Kriegsmonaten war an geordnetes Arbeiten kaum zu denken; Fliegeralarm bei Tag und Nacht; Nachts sollten die Arbeiten zusätzlich unter den Bedingungen der Verdunklung erfolgen.

Noch im März 1945 wurde ernsthaft darüber nachgedacht, die in den Wüste-Werken eingesetzten Häftlinge durch Zivilarbeiter zu ersetzen. Dazu kam es jedoch nicht mehr.

Ab Mitte April 1945, mit dem näher rücken der alliierten Streitkräfte, wurden sämtliche Arbeiten an und in den noch nicht fertig gestellten Wüste-Werken eingestellt und die KZ-Lager geräumt. Am 20.April 1945 übernahmen französische Streitkräfte die Kontrolle. Eine zunächst von der SS geplante Sprengung der laufenden Werke fand nicht statt.

Nach 1945 wurden die wenigen Werke, die in Betrieb gegangen waren, nicht – wie in der sowjetischen Besatzungszone üblich – demontiert, sondern unter französischer Regie weiter betrieben. Die Testanlage in Frommern, die zu Kriegsende nicht fertig war, wurde weiter gebaut und in Betrieb genommen. 1947 wurden die noch produzierenden Ölschieferwerke zusammengefasst zur Zentralverwaltung der württembergischen Ölschieferwerke. Das ehemalige LIAS-Werk in Frommern war noch bis November 1949 in Betrieb! Diesmal jedoch unter Ausbeutung Deutscher Kriegsgefangener und Internierter.

In den 1950er Jahren wurden fast alle Überreste der Wüste – Anlagen dem Erdboden gleichgemacht. Hier wuchs dann nicht nur Gras über die ehemaligen Standorte, sondern auch über die Geschichte dieser unsäglichen Verquickung von schlimmster Ausbeutung der Menschen und nicht ausgereifter Technologie der Schieferölgewinnung. Erst ab den 1980er Jahren begann eine vorsichtige Aufarbeitung der Geschichte, die bis heute andauert.

Quellen:

Internetpräsenz des „Arbeitskreis »Wüste« Balingen“ unter akwueste Punkt de

[Hrsg.] Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg „Wir sind gezeichnet fürs Leben, an Leib und Seele. Unternehmen »Wüste« – Das südwürttembergische Ölschieferprojekt und seine sieben Konzentrationslager“, Stuttgart, 2012

Hausmair, Barbara „Vernichtungslandschaft Wüste. Zur Materialität des NS-Terrors außerhalb des Lagerzauns“, in: Archäologie der Moderne. Standpunkte und Perspektiven. Sonderband Historische Archäologie, 2020 (online-Version), S. 333 – 369

Huth, Arno „Das doppelte Ende des K.L. Natzweiler auf beiden Seiten des Rheins“, Neckarelz, 2013

Zekorn, Dr. Andreas / Kreisarchiv Zollernalbkreis „Ende mit Schrecken – Die Räumung der Lager des Unternehmens »Wüste« im April 1945“, in: „Gedenkstättenrundschau“ Nr. 14, März 2015

Zekorn, Dr. Andreas „Zivilarbeiter statt Häftlinge (1)“, in: Heimatkundliche Blätter Zollernalb, 62. Jahrgang, Nr. 4, 30. April 2015, S. 1932 ff.

Zekorn, Dr. Andreas „Das Unternehmen »Wüste«“

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