Saale – Elster – Kanal

Ein unvollendetes Kanal-Bauprojekt mit teilweise spektakulären Überresten und einer gewissen Tragik: der Südflügel des Mittellandkanals, der Leipzig mit der Saale (und somit dem deutschen Wasserstraßennetz) verbinden sollte. Das Kanalprojekt hatte viele Namen: Saale-Elster-Kanal, Elster-Saale-Kanal, Südflügel Mittellandkanal, seit Neuestem (und nunmehr offiziell) heißt er Saale-Leipzig-Kanal.

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Skizze des Kanalverlaufes auf einer Informationstafel am östlichen Kanalende

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Eisenbahn noch nicht erfunden (die erste Bahn in Deutschland fuhr erst 1835 auf einer kurzen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth); Transporte erfolgten entweder mühsam auf dem Landweg oder – effektiver und schneller – auf den Wasserstraßen: Flüsse und Kanäle. Das aufstrebende Leipzig hatte einen entscheidenden Standortnachteil: es lag an keiner großen Wasserstraße; das benachbarte Halle, das ebenso prosperierte, lag an der schiffbaren und viel befahrenen Saale; Torgau, Riesa und Dresden an einer der größten natürlichen deutschen Wasserstraße schlechthin: der Elbe. Schon früh kam die Idee auf, durch eine künstliche Wasserstraße Leipzig an das Wasserstraßennetz anzuschließen. Verschiedene Kanalbau- Projekte konkurrierten um die Gunst der Regierungen der Königreiche Sachsen und Preußen (die die Genehmigung erteilen mussten) und um die Gunst von Investoren: Leipzig- Aken, Leipzig – Torgau, Elster – Leipzig – Saale, Leipzig – Wallwitzhafen (an der Elbe bei Dessau), Leipzig – Riesa. Durch die Napoleonischen Kriege (von 1805 bis 1815) kamen sämtliche Projektplanungen zum Erliegen.

Der Leipziger Rechtsanwalt, Stadtverordnete und Unternehmer Ernst Carl Erdmann Heine brachte die Anbindung Leipzigs an das Wasserstraßennetz wieder auf die Tagesordnung. Auf eigene Kosten begann er 1856 mit dem Bau eines Kanals von der Weißen Elster in Richtung des Leipziger Industriegebietes Plagwitz. Die Bauarbeiten erwiesen sich als äußerst schwierig und kostspielig – die gewählte Strecke erwies sich als sehr felsig. So dauerte es bis 1861, ehe das erste Teilstück bis zur Zschocherschen Straße seiner Bestimmung übergeben werden konnte.

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Kanalbauarbeiten in Leipzig – Manueller Massenaushub und Transport mit Feldbahn westlich der Zschocherschen Straße. Blick nach Osten zur König-Johann-Brücke Bildnachweis: SLUB/ Deutsche Fotothek / Goetz, Paul http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70036501 (Public Domain Marc 1.0)

Auf Bestreben der Leipziger Handelskammer und vieler Leipziger Unternehmer gründete sich 1872 der Elster-Saale-Canal-Verein, der zum einen Lobbyarbeit für die geplante Wasserstraße machte, und andererseits versuchte, finanzielle Mittel für den Bau aufzubringen.

1887 erreichten die Kanalbauarbeiten Lindenau – immer noch von Carl Heine privat finanziert. Hier bestand Anschluss an die inzwischen neu errichtete Eisenbahnstrecke nach Riesa. 1888 gründet Carl Heine die Leipziger Westend-Baugesellschaft AG und überträgt sein Vermögen und seine Grundstücke auf diese AG. Carl Heine stirbt kurz darauf. Unter der Regie der Westend-Baugesellschaft wird der Kanalbau weiter vorangetrieben. 1893 sind erst 2,5 km fertiggestellt – das Stück von der Weißen Elster durch Leipzig-Plagwitz bis kurz vor Lindenau. Der Kanal endet wenige Meter vor dem geplanten Kanalhafen in Leipzig Lindenau an der Lützner Straße.

Die Kostenfrage war – auch damals schon – die entscheidende. Das Königlich Sächsische Finanzministerium befürwortete grundsätzlich die Anbindung Leipzigs über eine Querverbindung von der Weißen Elster über Leipzig nach Kreypau an der Saale, weist jedoch in einem Schreiben vom 26. Juli 1893 darauf hin, dass „die Interessenten auch zu erwägen haben, in welcher Weise sie die Kosten für die Ausführung des Canals aufzubringen gedenken, da, sogern die Regierung bereit ist, die Ausführung durch die ihr zur Verfügung stehenden technischen Kräfte zu unterstützen, doch auf eine Herstellung desselben auf Kosten des Staates nicht gerechnet werden darf.“

Ein Weiterbau mit privaten Mittel scheint aufgrund des enormen Kapitalbedarfs inzwischen aussichtslos. Die Eisenbahn hat sich als billiges Transportmittel durchgesetzt. Seit 1840 verband eine Bahnstrecke Leipzig mit Magdeburg an der Elbe; in Leipzig Plagwitz (dem Leipziger Industrieschwerpunkt) – in direkter Konkurrenz zum Kanal-Neubauprojekt wurde von 1886 bis 1888 eine Eisenbahn für den Güterverkehr errichtet. Diese Strecke hatte bis 1925 Bestand.

1898 werden die Bauarbeiten am Kanal eingestellt. Der Kanalabschnitt von der Weißen Elster bis nach Lindenau besteht noch heute und heißt zu Ehren seines Erbauers Karl-Heine-Kanal.

1920 – die politische Welt in Deutschland hatte sich grundlegend verändert – wurde durch die Regierung des Deutschen Reiches beschlossen, Deutschlands längste künstliche Wasserstraße, den Mittellandkanal, zu vollenden. Zu dessen Bestandteil wurde auch der Saale – Elster – Kanal gemacht, der hier als Südflügel des Mittellandkanals bezeichnet wird. Inflation und Wirtschaftskrise verhinderten zunächst jeden Baubeginn. Erst 1926 werden die entsprechenden Staatsverträge zum Bau des Mittelland-Kanals unterzeichnet und ausdrücklich festgehalten, das der Südflügel gleichzeitig zu bauen und fertig zu stellen ist.

Während am eigentlichen Mittellandkanal nunmehr fleißig gebaut wird, tut sich am Saale-Elster-Kanal nichts.

Erst ab dem Sommer 1933 wurde wieder am Saale-Elster-Kanal gebaut, es entstand eine der größten Baustellen seiner Zeit. Bis zu 2.000 Arbeiter waren hier gleichzeitig beschäftigt; möglich wurde das durch das Reichsgesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit. Ab 1934 wurde im Dreischicht-System gearbeitet.

Ab 1937 zog man nach und nach Arbeitskräfte und Materialien ab, die Fertigstellung des Mittellandkanals wurde massiv forciert. Der Verlust an Arbeitskräften konnte zunächst durch den Einsatz von Großgeräten wie Baggern und Förderbändern kompensiert werden.

Bei Einstellung der Bauarbeiten im Frühjahr 1943 – das Kanalbauprojekt war kein kriegswichtiges Projekt – waren von den 19 Kilometern des geplanten Kanals 11,3 Kilometer fertiggestellt und bewässert, für weitere 5,5 Kilometer war der Erdaushub bereits erfolgt; in Leipzig Lindenau war ein halbfertiger Binnenhafen entstanden, der weder einen Anschluss an den fertig gestellten Teilbereich des Saale-Elster-Kanal hatte und auch keine Verbindung zum innerstädtischen Karl-Heine-Kanal mit Anschluss an die Weiße Elster. Dieser Zustand sollte sich auch nicht mehr ändern.

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Kanalhafen in Leipzig-Lindenau um 1940 – rechts das ausgehobene aber nicht geflutete Hafenbecken. Bildnachweis: SLUB/ Deutsche Fotothek / Lindner, P. http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70041193 (Freier Zugang – Rechte vorbehalten.)

Erst im Jahre 2015 wurde eine Verbindung hergestellt zwischen dem Karl-Heine-Kanal und dem Hafen Lindenau, der von Wassersportlern genutzt werden soll. Die Verbindung vom Hafen Lindenau zum Saale-Elster-Kanal (der Durchstich durch die Lyoner Straße / Plautstraße am nordwestlichen Ende des Hafens Lindenau) fehlt bis heute.

Der bewässerte Kanal endet westlich von Günthersdorf im Nichts. Die ausgehobene Kanaltrasse bis zum Ort Wüsteneutzsch ist als deutlicher Grünstreifen in der Landschaft gut zu erkennen.

Kanalaushub bei Wüsteneutzsch

Kanalaushub bei Wüsteneutzsch

Ein großer Teil der fertig gestellten Kunstbauten auf der Kanalstrecke ist noch völlig intakt, darunter 12 Straßenbrücken und eine Bahnbrücke, sowie die erforderlichen Düker und Bachdurchlässe. Die bereits fertig gestellten Sperrtore westlich von Burghausen und westlich von Günthersdorf, mit denen zu Wartungszwecken der Kanal abschnittsweise gesperrt und teilentleert hätte werden können, wurden in den 1950er Jahren ausgebaut und anderweitig verwendet.

Spektakulär präsentiert sich die Bauruine der oberen Schleuse im Dorf Wüsteneutzsch.

Schleusenruine Wüsteneutzsch

Schleusenruine in Wüsteneutzsch – mitten im Nirgendwo

Von der Schleusentreppe, die die 22 m Höhenunterschied zum Saaletal überwinden sollte, wurde nur die obere Schleuse im Rohbau fertig. Die Baugrube für die untere Schleuse ist inzwischen durch Grund- und Regenwasser geflutet. Ungebaut blieben die letzten zwei (!) Kilometer des Kanals bis zur Saale nach Kreypau. Von der Kreypauer Kanalbrücke stehen heute nur noch die Widerlager.

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Reste der Kanalbrücke und des Kanalbettes bei Kreypau kurz vor der geplanten Saalemündung

 

Quellen:
Becker, Dirk „Der Südflügel des Mittlellandkanals“, 2009
Goetz, Paul „Der Elster – Saale – Canal von Leipzig nach Creypau“, Leipzig, 1893
Kolditz, Gerald „Das Kanalprojekt von Riesa nach Leipzig im Kontext der Leipziger Kanalfrage Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts“; in: Leipziger Stadtgeschichte. Jahrbuch 2012
Lattermann, Eberhard „Die Bedeutung des Elster – Saale – Kanals (Leipziger Kanals)“ in: [Hrsg.] Technische Universität Dresden, Institut für Wasserbau und technische Hydromechanik „Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen 13“,  Dresden, 1998, S. 413 – 420
SLUB – Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

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