Grimmen – VEB Kleiderwerk

Am 21. November 1972 verkündete die Zeitung „Neues Deutschland“ unter der Überschrift „Noch 1972: Tausend Mäntel aus neuem Grimmener Betrieb“: Grimmen (ND). Ein Zweigbetrieb des VEB Kleiderwerke Greifswald nahm am Montag seine Produktion in der Kreisstadt Grimmen auf. Betriebsangehörige sind 63 ehemalige Hausfrauen, meistens Ehepartner von Erdölarbeitern, die hier ihren Wohnsitz genommen haben. In der Vergangenheit mangelte es hier an Arbeitsmöglichkeiten für Frauen.

Der neue Grimmener Betrieb befand sich im industriellen Kern der Stadt – im Bereich rund um den Schützenplatz, dessen ehemaliger Bahnhof als lokaler Güterumschlagspunkt genutzt wurde.

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Errichtet wurden die Gebäude auf dem 12.800 Quadratmeter umfassenden Gelände in der Stoltenhäger Straße vom VEB Bau Grimmen. Noch heute ist ein Mix verschiedener Bauten, Stile und Werkstoffe erkennbar. Baumaterial war immer knapp, und gerade bei Verwaltungs- und Sozialgebäuden wurde gespart.

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Produziert wurden hier Hosen, Mäntel und Uniformen. Erst 1976 waren die Produktionsanlagen final fertig gestellt.  In der sozialistischen Erfolgspresse las sich das natürlich etwas anders (Neues Deutschland vom 14. Mai 1976): Eine weitere Produktionsstätte der Greifswalder Kleiderwerke wurde am Mittwoch in Grimmen in Betrieb genommen. Damit ist dieses Werk zu einem der bedeutendsten Hersteller für Herrenmäntel und Kutten in der DDR geworden. Die Produktion der Kleidungsstücke wird noch in diesem Jahr auf über 180 000 anwachsen.

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Wie in den meisten Betrieben der DDR wurde auch hier rund um die Uhr im Schichtbetrieb gearbeitet. Bis zum Ende der DDR herrschte Hochbetrieb.

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Wer glaubte, dies würde auch unter den neuen marktwirtschaftlichen Bedingungen ab 1990 weiter so laufen, der hatte die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Plötzlich gab es weder Bedarf an Uniformen noch an uniformer DDR-Mode. Der Stammbetrieb in Greifswald (VEB Bekleidungswerke Greifswald) wurde 1990 geschlossen und die dortigen Gebäude 2005 und 2009 abgerissen. Zumindest der Abriss der Gebäude hat in Grimmen noch nicht stattgefunden. Die erfolgte Privatisierung scheiterte. Nach dem Ende der Produktion blieben die Gebäude sich selbst überlassen. Zumindest ein kleines, unscheinbares Schild im ehemaligen Pförtnerhaus kündet noch von dem Versuch, den Betrieb nach der politischen Wende am Leben zu erhalten.

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Nach der Insolvenz gab es einige Besitzerwechsel. Bei einer Versteigerung im Jahre 2013 erzielten die Gebäude einen Erlös von 2.500 Euro. Geplant war der Umbau zu altersgerechtem Wohnraum. Zunächst tat sich hier auf dem Gelände wenig bis nichts. Bei einer erneuten Versteigerung der immer noch brach liegenden Gebäude im Jahre 2018 wechselte das Gelände nunmehr schon für 70.000 Euro den Besitzer. Ob hier eine sinnvolle Nachnutzung erfolgt, wird die Zeit zeigen. Noch ist es still auf dem Gelände.

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Quellen:

online-Archiv der Zeitung „Neues Deutschland“, Ausgaben vom 21.11.1972 und 14.05.1976 unter nd minus archiv Punkt de

„Ex-Kleiderwerke für 70.000 Euro versteigert“ in: Ostsee-Zeitung, 25.09.2018 (online)

Grimmen – Dampfziegelei Leitner

Im Jahre 1865 erwarb Andreas Leitner ein Stück Land, das reiche Vorkommen an Liaston enthielt.  Durch Brunnenbohrungen wusste man, das die Tonschicht hier eine Mächtigkeit von mehr als 25 Metern hatte. Da der Ton erst in einer Tiefe von etwa 18 Metern anstand, müssen die Tongruben schon sehr tief gewesen sein.

Am Stadtrand von Grimmen – in unmittelbarer Nähe zu den Tonvorkommen, wurde eine kleine Ziegelei errichtet, in der zum Anfang 15 Arbeiter den Ton ausgruben und zu Ziegeln verarbeiteten. Der Ton wurde hier immer klassisch im Tagebau abgebaut. So entstanden im Laufe der Jahre Tongruben-Restlöcher, die sich nach und nach mit Wasser füllten. Eines befindet sich unmittelbar am Ziegelei-Gelände.Grimmen VEB Klinkerwerk 01

Zunächst erfolgte alles noch in mühsamer Handarbeit. Gebrannt wurden die Ziegel in einem alten Backofen, der aus dem Gut Groß Lehmhagen stammte. Der Gutsbesitzer war froh, das er ihn los werden konnte, und so wurde der Ofen „auf Abriss“ verkauft. Das heißt, Andreas Leitner musste den Ofen selber abreißen – und zwar so, das er ihn wieder verwenden konnte. Als Brennmaterial wurde Anfangs wahrscheinlich nur Holz und Kohle verwendet. Erst der Sohn des Unternehmensgründers, Carl Leitner, erweiterte und modernisierte den Betrieb ständig, der daraufhin bald als Dampfziegelei Carl Leitner firmierte.Grimmen VEB Klinkerwerk 05

Der gewählte Standort des Unternehmens erwies sich als goldrichtig. Ab November 1896 entstand in Steinwurfweite entfernt der zentrale Güterumschlags-Bahnhof von Grimmen: der Bahnhof Grimmen Schützenplatz der Greifswald-Grimmener-Eisenbahn. Nun entfiel der mühsame Transport der Ziegel per Pferdefuhrwerk zum etwa zwei Kilometer entfernten Grimmener Bahnhof (Strecke Berlin – Stralsund, sogenannte Berliner Nordbahn). Der Grimmener Schützenplatz entwickelte sich zum lokalen Industriezentrum. Der Grimmener landwirtschaftliche Ein- und Verkaufsverein hatte direkt an der Bahntrasse (und unmittelbar an das Ziegeleigelände grenzend) seinen 3.000 Tonnen – Speicher errichtet.

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Von der Ziegelei führte eine Feldbahn nun direkt auf das Bahnhofsgelände und eine Verladerampe, die das Beladen von regulären Güterwagen deutlich erleichterte. Speziell für die Ziegelei wurde ein separates Güterverladegleis im Bahnhof gebaut. Nur wenige Geisreste sind auf dem Ziegeleigelände selbst noch vorhanden.

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Das unternehmen entwickelte sich schnell zu einem florierendem Betrieb. Hergestellt wurden hier Mauerziegel, Handstrichziegel, Dachziegel, Drainröhren, Falzziegel und Verblendziegel. In der Blütezeit des Unternehmens wurden jährlich etwa drei Millionen Ziegel am Bahnhof Grimmen Schützenplatz verladen.

Gebrannt wurde zunächst in einem typischen Ringofen, der sich um den Schornstein gruppierte; später wurde noch ein zweiter Ringofen (und ein zweiter Schornstein) gebaut.

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Grimmen VEB Klinkerwerk 21Für den Transport des Tons – aus inzwischen etwas weiter vom Betrieb entfernten Tongruben – wurde eine Feldbahn gebaut, die bis weit in die 1980er Jahre Bestand hatte.

1905 erwarb Carl Leitner für seine privaten Wohnzwecke das Gutshaus in Groß -Lehmhagen bei Grimmen. Nach dem Tode von Carl Leitner (um 1928) führte dessen Witwe Agnes sowohl das Gutshaus als auch das Ziegelei – Unternehmen weiter.

1931 wird für die Dampfziegelei Karl Leitner als Inhaberin Agnes Leitner geführt.

Das Unternehmen überstand den zweiten Weltkrieg und wurde nach 1945 von den russischen Besatzern für Reparationszwecke demontiert. Nachdem von der Ziegelei praktisch nur die Gebäudehüllen bestehen blieben, begann nach 1948 der schwierige Aufbau. Ziegel wurden dringend benötigt.

Für die Brenn- und Trocknungsvorgänge wurde zunächst wieder Kohle genutzt. Ob die Umstellung vom Ringofen auf einen Drehofen bereits in dieser Phase oder erst später erfolgte, ist im Moment nicht zu ermitteln.

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In den 1970er Jahren wurde ein weiterer Drehofen mit Trockner in Betrieb genommen; Brennstoff war inzwischen Öl – die Umstellung von Kohle auf Öl erfolgte wahrscheinlich in den 1960er Jahren, als Öl auch für die DDR noch billig und einfach zu haben war. Öl war einfacher zu handhaben und es ließen sich höhere Brenntemperaturen erzeugen und der Produktions-Betrieb variabler fahren. Am Rande des Betriebsgeländes entstanden drei riesige Öltanks, die Zuleitungen zu den Brennern wurden unterirdisch verlegt.

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1975 / 1976 wurde die Siebstation rekonstruiert. Ab 1980 begannen Überlegungen, Öl als Brennstoff zu substituieren. Etwa ab 1982 wurde dann die Verbrennung von Öl auf Braunkohlenstaub umgestellt. Zuvor mussten natürlich Kessel und Brenner, Brennstoffzuführung sowie das Brand- und Explosionsschutzkonzept überarbeitet werden. Die drei Siloanlagen für den Kohlenstaub gaben der Silhouette der Ziegelei ein neues Aussehen.

Ein Kohlebunker und ein Mahlwerk wurden recht provisorisch errichtet neben den Feldbahngleisen in unmittelbarer Nähe des Brenners errichtet. Bis in die1980er Jahre erfolgte der Antransport von Ton und Kohle und der Abtransport der fertigen Ziegel und Baustoffe zum nahe gelegenen Güterbahnhof Grimmen Schützenplatz per Feldbahn.

Die Ziegelei firmierte in der DDR-Zeit unter verschiedenen Namen: VEB Ziegelwerk Grimmen, VEB Klinkerwerk Grimmen und VEB Leichtzuschlagstoffe Grimmen. Gerade die letzte Bezeichnung lässt darauf schließen, das Ziegel nicht mehr das Hauptprodukt waren. Blähton und Blähtonsteine sowie mineralische Zuschlagstoffe für die Bauindustrie standen zuletzt im Produktionsprogramm.

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Die Wendezeit 1989/1990 überstand die Ziegelei nicht lange. Zunächst erfolgte eine Privatisierung, die aber nicht von Erfolg gekrönt war. Details dazu ließen sich leider nicht ermitteln.

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Ende 2019 begannen teilweise Abrissarbeiten, so dass über kurz oder lang hier leider nichts mehr übrig bleiben wird. Verschwunden sind inzwischen die Silotürme der Kohlenstaubanlage, die Brennöfen und Brenn-  und Trockenkammern sowie fast alle oberirdischen Rohrleitungen. Mit dem Abriss verschwindet damit wieder ein Stück regionale Zeitgeschichte und ein Zeugnis von Industriekultur.

Einige martialische Schilder stehen noch herum…

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Der ehemalige Personaleingang lädt etwas versteckt zu einem Besuch auf das Gelände ein.

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Hier ist nicht nur Gras drüber gewachsen, sondern ein ganzer Wald.

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Einige Gebäude sind eindeutig DDR-Bauten… die Werkhallen sind natürlich ausgeräumt.

Ein schöner Ziegelbau nebst gemauertem SchornsteinGrimmen VEB Klinkerwerk 16 – Industriearchitektur vom Feinsten, auch wenn das unsägliche Graffitto natürlich nicht fehlt…

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Im Inneren eines der Gebäude hat es gebrannt – vermutlich im Elektroraum. Glücklicherweise wurde das Gebäude nicht all zu sehr in Mittleidenschaft gezogen. Der Vandalismus hat viel mehr Schäden verursacht. Vermutlich handelte es sich bei diesem Gebäude um das Sozial- und Bürogebäude.

Beeindruckend auf jeden Fall der Blick in das Obergeschoss mit der massiven Dachkonstruktion aus Stahlbeton, wie sie typisch für die 1930er Jahre war.

Der Blick aus den Fenstern zeigt die vielfältigen Gebäude aus allen Zeiten der Nutzung.

Industriekultur….Grimmen VEB Klinkerwerk 06

… steht hier neben Profanbau.

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Der Verfall dürfte vermutlich nur mit großem Aufwand zu stoppen sein, und mit dem notwendigen Willen.

Quellen:

Archiv Historische Dachziegel, Eintrag zur Dampfziegelei Carl Leitner, Seite 1948 (dachziegelarchiv Punkt de)

Deecke Wilhelm „Neue Materialien zur Geologie von Pommern. II. Bohrungen im Diluvium Vorpommerns“, in: „Mittheilungen aus dem naturwissenschaftlichen Vereine von Neu-Vorpommern und Rügen“, Band 37, 1905

Grohmann, Erhardt „Grimmen in alten Ansichten“, 1991

Homann, Werner „Die Greifswald-Grimmener Eisenbahn“, Blätter zur Verkehrsgeschichte Mecklenburgs, Nr. 11

Grimmen – Speicher Landwirtschaftlicher Ein- und Verkaufsverein

Im Jahr 1878 erreicht die Eisenbahn die mecklenburgische Kleinstadt Grimmen und hatte damit Anschluss an Berlin, Stralsund und Rostock. Eine weitere Bahnlinie, die Greifswald mit Tessin verband, führte durch Grimmen und entwickelte sich zu einer bedeutenden Strecke für das landwirtschaftliche Hinterland. Rund um den Grimmener Bahnhof Schützenplatz entwickelte sich bald darauf ein reges Industrie- und Handelszentrum. Im Jahr 1895 wurde von 96 Gründungsmitgliedern der Grimmener Landwirtschaftliche Ein- und Verkaufsverein gegründet, der schon bald unmittelbar an der Bahnlinie ein imposantes Speichergebäude errichtete.

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Ökonomierat Carl Hecht aus Bartmannshagen gilt als Initiator dieses gemeinschaftlichen Unternehmens. Gründer und Vereinsmitglieder waren Landwirte und Agrarbetriebe aus Grimmen und der weiteren Umgebung. Das Ziel war die Produktion und die gemeinsame Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Mitgliederzahl beträchtlich: 1913 hatte der Verein schon 538 Mitglieder, 1930 waren es schon 1.753. Was als Selbsthilfeverein für regionale Landwirte begann, entwickelte sich zur größten Selbsthilfeorganisation landwirtschaftlicher Betriebe in Vorpommern.

Der Baubeginn der markanten Speichergebäude in Grimmen war 1909. Er hatte das Fassungsvermögen von 3.000 Tonnen. Hier wurde vorrangig Kunstdünger, Kraftfutter und Getreide gelagert.

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Welche Bedeutung der Verein für die lokale Wirtschaft hatte, zeigt sich beispielsweise auch daran, das nach Ablauf des Geschäftsjahres 1913/1914 vom erzielten Gewinn 15.000 Mark für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt wurden. Ein Teil des Betrages wurde für unentgeltliche Düngemittellieferungen an bedürftige Landwirte bereit gestellt.

1930 unterhielt der Verein in Grimmen ein zentrales Verwaltungsgebäude, je fünf Speicher und Lagerschuppen, eine Mühle, eine Kartoffel-Flockenfabrik (1925 fertig gestellt) und eine Maschinenfabrik. Im weiteren Umland gehörten dem Verein mehrere Niederlassungen und im Stralsunder Hafen ein Speicher mit einer Kapazität von 5.000 Tonnen. In den Jahren 1937/38 beschäftigte der Grimmener Ein- und Verkaufsverein 106 Angestellte und bis zu 100 Arbeiter. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Verein aufgelöst. Mit der Demontage der Bahnstrecke zwischen Greifswald und Grimmen für Reparationszwecke verlor der Standort am Grimmener Schützenplatz einen großen Teil seiner Bedeutung. Als Gewerbe und Umschlagplatz wurde er bis nach 1989 genutzt – es bestand immerhin noch reger Güterverkehr auf der etwa 2 km langen Strecke zum Grimmener Bahnhof.

Heute wird ein Teil des imposanten Speichergebäudes als Markthalle für einen Flohmarkt nachgenutzt; ein Teil des Gebäudes steht leer. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.

Quellen:

Grohmann, Erhardt „Grimmen in alten Ansichten“, 1991