Neddemin – Waldesruh

Ein inzwischen sehr unansehnlicher Gebäuderest an der ehemaligen Fernverkehrsstraße 96 (danach dann Bundestraße 96, jetzt nur noch Landstraße) zwischen Neubrandenburg und Altentreptow, im Wald gleich gegenüber des Bahnhofes Neddemin versinkt im Vergessen.

IMG_20210512_154507

Gebaut um die Jahrhundertwende war dieser Trümmerhaufen einst ein sehr bekanntes Gasthaus mit Tanzsaal. Es schien damals eine gute Idee zu sein, trotz der abseitigen Lage, gerade hier eine Schankwirtschaft zu errichten. Vermutlich spielte der nahe gelegene Bahnhof eine Rolle, oder die schon damals bedeutende Straße nach Neubrandenburg oder der Steinbruch, der sich hier in der Nähe im Wald befand.

Zu DDR – Zeiten fanden hier regelmäßige Tanzveranstaltungen statt. Nach 1989 war mit Restaurant, Tanzvergnügen und Ausflugslokal schnell Schluss. Ein neuer Eigentümer fand sich überraschend schnell und verwandelte das Restaurant Waldesruh in ein spezielles Etablissement, das im Volksmund den Namen Waldeslust erhielt. Es zählte zu den ersten Einrichtungen seiner Art im Großraum Neubrandenburg. Einheimische wollen wissen, das das horizontale Gewerbe hier auch schon zu DDR-Zeiten ausgeübt worden sein soll….

IMG_20210512_154457

Mit dieser Geschäftsidee war dann auch recht schnell Schluß – 1996 brannte das Gebäude vollständig aus und wurde nicht mehr hergerichtet. Der Verfall setzte unmittelbar ein. Diebe, die hier Ziegelsteine in größeren Mengen mitnahmen, gaben den letzten stehenden Wänden den Rest. Heute steht hier nichts mehr… im doppeldeutigem Sinne des Wortes…

Es wird sicher nicht mehr allzu lange dauern, bis die allerletzten Übereste hier verschwunden sein werden.

Quellen:

„Ruine bei Neddemin stürzt ein“; Nordkurier, 03.12. 2014

„Vom Ausflugsziel zur Puffruine“; Nordkurier, 11.03.2016

Neddemin – Bahnhof

Ein kleiner Bahnhof aus den Glanzzeiten der Eisenbahn in Deutschland. Schon 1844 gab es erste Bestrebungen, Stralsund mit schneller Eisenbahnverbindung an Berlin anzubinden.

Die Konzession zum Bau der Berliner Nordbahn wurde 1870 erteilt. Acht Jahre später war die Strecke fertig – von Berlin bis Neustrelitz war sie sogar zweigleisig; von Neustrelitz an war sie nur eingleisig ausgelegt. Der Bau der Strecke wurde in drei Etappen frei gegeben – nach Neddemin kam die Bahn dann 1877 mit der Freigabe des zweiten Bauabschnittes zwischen Neubrandenburg und Demmin. Offiziell liest sich das so: Am 1. Dezember d.J. (1877) wird die Strecke Neu-Brandenburg – Demmin der Berliner Nordbahn mit den Stationen Neddemin, Treptow a.T., Gülz, Sternfeld, Demmin für den Personen- und Güterverkehr eröffnet. Gleichzeitig werden die Personenzüge in den Bahnhof der Berlin-Stettiner Bahn in Berlin einmünden resp. von dort abgelassen werden.1)

Neddemin 03

Das heute unter Denkmalschutz stehende Bahnhofsgebäude stammt aus dieser Zeit.

Neddemin 01

Warum jedoch ausgerechnet diese Stelle für den Bau eines Bahnhofs gewählt wurde, ist aus der heutigen Sicht überhaupt nicht mehr nachzuvollziehen – der eigentliche Ort Neddemin mit seinem Nachbarort Hohenmin liegt knapp zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt. Die Bahnstrecke schwenkt kurz nach dem Bahnhof Neddemin nach links und überquert dann das Flüßchen Tollense. Die Strecke führt in großem Bogen am Ort Neddemin vorbei, weiter durch das Tal der Tollense in Richtung Altentreptow. Allerdings befand sich kurz vor der Tollense-Querung die ehemalige Grenze zwischen Preußen und Mecklenburg-Strelitz, so dass der Bahnhof Neddemin die Funktion eines Grenzbahnhofes und Zollpostens inne gehabt haben könnte.

Für die regionale Wirtschaft war die Bahnanbindung sicher ein Gewinn – In unmittelbarer Nähe des Bahnhofes befand sich über viele Jahre eine Ziegelei, von der heute leider keine Spur mehr zu finden ist.

Der Bahnhof bekam ein paar Nebenbgebäude und eine kleine Gepäck – und Güterabfertigung mit einem kurzen Stichgleis, das Platz für einen Waggon bot – den tyischen Gepäckwagen.

Die Bahnstrecke selbst überstand den zweiten Weltkrieg unzerstört, allein die Bahnsicherungstechnik war nach Kriegsende demontiert worden bzw. war zerstört. Dies führte am 04. Dezember 1945 zu einem schweren Zugunglück in der Nähe des Bahnhofes Neddemin, als auf der noch immer eingleisigen Strecke ein sowjetischer Kommandantenzug mit einem voll besetzten Personenzug zusammenstieß. Mindestens 38 Tote waren zu beklagen, darunter auch die Lokführer und Heizer der beiden Züge, die erst am nächsten Tag aus den Trümmern geborgen werden konnten.

Die Bahnstrecke blieb weiter eingleisig – für einen zweigleisigen Ausbau fehlte das Geld.

Einige Bedeutung hatte der Bahnhof vermutlich noch bis 1989 – in den 1960er Jahren wurde östlich des Bahnhofes eine Kiesgrube erschlossen und in Bahnhofsnähe zu Baumaterialien weiter verarbeitet. Zudem befand sich in den umliegenden Wäldern bis zum Ort Hohenmin eine militärische Einrichtung der Nationalen Volksarmee.

Mitte der 1990er Jahre wurde der Bahnhof geschlossen und verfällt seit dem.

Beim Verlassen des Ortes ist man nachdenklich – zum einen verfällt hier ein denkmalgeschütztes Gebäude; zum anderen erinnert keine Gedenktafel an das vergessene Zugunglück aus dem Jahr 1945.

 

Quellen:

1) „Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin“, Jahrgang 1877

„Mecklenburg-Strelitzscher offizieller Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung“, Neustrelitz, 1918

„Regierungsblatt für das Großherzogthum Mecklenburg – Schwerin“, Jahrgang 1863

Wilhelm, Frank „Zahlreiche Tote. Warum über ein Zugunglück bei Neubrandenburg kaum etwas bekannt ist“; Nordkurier, 09.09.2020