Leipzig – Speicher im Hafen Lindenau

Die markanten Speicher-Gebäude des ehemaligen Reichsnährstandes (RNST) prägen das Bild vieler Häfen und Eisenbahnknoten.

Für den geplanten Leipziger Binnenhafen im Ortsteil Lindenau, der über den Saale – Elster – Kanal an das deutsche Wasserstraßennetz angeschlossen werden sollte, wurden im Zuge der Kanalbauarbeiten ab Mai 1938 auch gleich die drei Speichergebäude am Umschlagbecken I errichtet.

Reichsnährstand-Speicher Leipzig-Lindenau um 1940

Kanalhafen in Leipzig-Lindenau um 1940 – rechts das ausgehobene aber nicht geflutete Hafenbecken. Bildnachweis: SLUB/ Deutsche Fotothek / Lindner, P. http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70041193 (Freier Zugang – Rechte vorbehalten.)

Die Ironie an der Sache: weder der Kanal wurde fertig gestellt, noch das Hafenbecken. So blieb der Leipziger Hafen in Lindenau fast 80 Jahre lang ein Hafen ohne jegliche wasserseitige Anbindung. Bis zum Kriegsende wurden die Gebäude als Getreide-Speicher durch private Unternehmen bzw. Genossenschaften für den Reichsnährstand genutzt. An- und Abtransporte erfolgten über eine Straße und über ein Bahngleis.

Die 3 Speicher

Die drei markanten Speichergebäude wurden vollständig aus Stahlbeton errichtet. Gut zu erkennen ist die Stahlbeton-Skelett-Konstruktion und die massiven, aus Beton gegossenen, Decken. Der mit Ziegeln verkleidete Dachstuhl verdeckt die massive Betondecke der Gebäude. Bombensicher waren sie vermutlich nicht, boten jedoch guten Schutz gegen Splitter. Die großen Abstände zwischen den Gebäuden waren gewollt – man wollte im Falle von Bombenangriffen verhindern, das durch einen Treffer alle Gebäude beschädigt werden.

Speicher M. R. A. Schneider

Das linke (nördliche) Speicher-Gebäude gehörte der Firma M.R.A. Schneider Hafen – Umschlag – Speicherei. Baubeginn für diesen 5.000 – Tonnen-Speicher war 1939.

Schneider 2 (1)

Fertig gestellt wurde er ein Jahr später, im Sommer 1940. Zunächst wurde hier Getreide für die Zivilbevölkerung Leipzigs eingelagert.

Schneider 4

1946 wurde der Bodenspeicher des Gebäudes zu einer Ölmühle umgebaut, die Ende 1947 in Betrieb ging. Im Speichergebäude wurden nun unter der Firma M. R. A. Schneider OHG (Ölmühle und Getreidespeicher) vorrangig Ölfrüchte einlagerte und verarbeitet. 

Am 7. April 1953 wurde dieses Traditionsunternehmen enteignet.

KonstruktionsdetailAm 14.05.1966 ereignete sich im Gebäude um 2.55 Uhr früh vermutlich eine Staubexplosion, die einen Teil des massiven Gebäudes regelrecht weg sprengte.

Danach schien die Ölproduktion eingestellt worden zu sein, denn das Unternehmen firmierte nun unter der Bezeichnung BSB Betrieb mit staatlicher Beteiligung M. R. A. Schneider Getreidesilo.

Ab dem 06.04.1972 wurde das Unternehmen unter dem Namen VEB Hopfenextraktion Leipzig weitergeführt und das halb zerstörte Gebäude als Lagergebäude genutzt. Die Schlußbilanz des nunmehr endgültig enteigneten Traditionsunternehmens M. R. A. Schneider OHG weis per 30.April 1972 eine Bilanzsumme von 5.129.150,03 Mark der DDR aus.

Schneider 6Warum der zerstörte Teil des Gebäudes nicht wieder instand gesetzt wurde, ist vermutlich der Mangelwirtschaft zuzuschreiben. Wie stabil das Gebäude gebaut wurde, erkennt man an den nunmehr freiligenden Gebäudestrukturen. Hier bestand alles aus stabilem Stahlbeton, so das der unbeschädigte Gebäudeteil bis 1989 teilweise weiter als Lager genutzt wurde. Die eigentliche Hopfenverarbeitung fand in einem eigens vor dem halb zerstörten Speicher errichteten Anbau statt, der nach 1989 abgerissen wurde.

Speicher HA-LA-GE

Das mittlere der Speicher-Gebäude wurde von der ehemaligen Hafen-Lager-Gesellschaft, abgekürzt HA-LA-GE, genutzt.

HA-LA-GE 2

In den Zeiten der DDR-typischen Großbetriebe befand sich hier das Großlager II des VEB Kombinat Getreidewirtschaft. Das Gebäude war immer noch in Takt und wurde sozusagen im Originalzustand weiter genutzt. Im Laufe der DDR-Nutzung wurde noch ein kleines Pförtner-Häuschen errichtet, das den Zugang zum Betriebsgelände bewachte.

Pförtnerhaus

Als die Nutzer den Getreidespeicher Anfang der 1990er Jahre aufgaben, ließen sie alles stehen und liegen. Es sieht aus, als machten die Arbeiter gerade eine Pause und kehren gleich in das Gebäude zurück.

HA-LA-GE innen 03

Nur die allgegenwärtigen Graffities zeugen davon, das das Gebäude schon längere Zeit leer steht. Überall kann man die Zeichen der ehemaligen Nutzung erkennen: Getreide-Abfüllanlagen, Absackanlagen, Förderbänder…

Förderband

…. dicke Rohre, durch die das Getreide mit Druckluft geblasen wurde…

Rohre

Allerdings bietet sich bei den elektrischen Anlagen ein Bild des Grauens. Hier waren die obligatorischen Metalldiebe am Werk und haben für Verwüstung gesorgt.

HA-LA-GE innen 01

Kabel findet man hier keine mehr. 

Allgegenwärtig und äußerst gefährlich sind die unzähligen Bodenöffnungen innerhalb und außerhalb des Gebäudes. Viele sind nicht oder nur provisorisch gesichert!

 

Speicher Rhenus

Rhenus-Gebäude swDie 1912 gegründete Rhenus Transport GmbH war unter anderem auf die Binnenschiffahrt fokussiert. Sie betrieb an vielen Wasserstraßen Speichergebäude für den Güterumschlag. Das Gebäude am Lindenauer Hafen wurde als Getreidezwischenspeicher zur Getreidetrocknung genutzt. Erkennbar ist das an den vielen Fenstern, die für eine gute Belüftung der Getreide-Trocken-Böden sorgten.

Zu Zeiten der DDR befand sich auf dem Gelände das Leipziger Kraftfutter-Mischwerk (Lei-Kra genannt), das den Speicher und den bereits 1940 errichteten Büroanbau zunächst weiter nutzte.

Ende der 1960er wurde das Speicher-Gebäude zu einem Verwaltungsgebäude umgebaut – die vielen Fenster des Trocknungs-Speicher vereinfachten das Vorhaben. Das Lei-Kra-Gelände wurde nach und vergrößert. Das Speichergebäude wurde in den bereits vorhandenen Anbau integriert; weitere Gebäude – vor allem Baracken – wurden errichtet.

LeikraIn den 1970er Jahren wurde ein weiteres großes Gebäude errichtet, das sich fast unmittelbar an den Rhenus-Getreidespeicher anschloss.Der mehr als 30 Meter hohe Betonklotz enthält jedoch keinen Speicher, sondern die Kraftfutter-Mischanlage. Die Anlage ist bis heute in Betrieb. Der Rhenus-Speicher beherbergt heute Büroräume.

Die drei historischen Speichergebäude (M.R.A.Schneider, HA-LA-GE und Rhenus) stehen heute (und bis jetzt) unter Denkmalschutz. Inwieweit sie durch die geplante Neugestaltung des Lindenauer Hafens erhalten werden können, bleibt abzuwarten.

 

Quellen:

Bilder (mit Ausnahme des historischen Bildes) mit freundlicher Genehmigung von Alexander Köhler (2020); historisches Bild: SLUB – Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Denkmalliste vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Stand 2017

[Hrsg.] Denzer, Vera / Dix, Andreas / Porada, Haik Thomas „Leipzig. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme im Raum Leipzig“, 2015

Schneider, Hellmuth „Chronologischer Bericht über die Entwicklung der Leipziger Firma M.R.A. Schneider“, 1970 (unveröffentlicht)